Zahnmedizin im Pflegeheim

„Bitte keine Vorurteile!“

Im Dezember 2014 endete das Duale Modell zur zahnmedizinischen Betreuung älterer Menschen in Münchner Pflegeheimen. Was die Zahnärzte erlebten und welche Rolle dabei ein Demo-Pflegebett spielte, erzählt Dr. Cornelius Haffner. Haffner leitete zusammen mit Prof. Christoph Benz, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, das Projekt.

Was waren die größten Probleme beziehungsweise Herausforderungen bei der Umsetzung des „Dualen Projekts“? Und wie sind Sie damit umgegangen?

Dr. Cornelius Haffner:

Zu Beginn des Modellvorhabens im Jahr 2005 war das Feedback der zu betreuenden Einrichtungen in München überraschend gering. Erst in der Folge konnten alle Einrichtungen sensibilisiert und in die Versorgung mit einbezogen werden. Schwierig war auch, möglichst viele Pflegekräfte schon im Erstkontakt durch eine Fortbildungsveranstaltung in den jeweiligen Häusern zu erreichen. Teilweise wurde das Projekt argwöhnisch als „Heimaufsicht Mundgesundheit“ missverstanden.

Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?

Schon nach kurzer Zeit zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Mundgesundheit bei den von uns wiederkehrend betreuten Bewohnern. Überraschend war, dass nach einer geraumen Zeit bei zumindest einem Teil der Betreuten die erhobenen Parameter gleich waren oder sich sogar verschlechterten. Hintergrund war in erster Linie die häufig zunehmende Gebrechlichkeit der von uns über einen langen Zeitraum betreuten Pflegebedürftigen und in der Folge eine wachsende Abhängigkeit in der Durchführung der täglichen Mundpflege.

Am Anfang gab es seitens der Heime auch Vorbehalte – Sie nennen die Sorge vor mehr Bürokratie und zusätzlicher Pflegekontrolle. Wie ist es Ihnen gelungen, Pflegeleitung und Mitarbeiter vom Projekt zu überzeugen?

Die ersten drei Jahre waren in der Tat vor allem geprägt von einer wiederholten Darstellung und Bewerbung des Projekts gegenüber den Verantwortlichen in den jeweiligen Einrichtungen. Darüber hinaus hatten wir große Unterstützung der zuständigen Stellen in der Landeshauptstadt und auch der bayerischen Gesundheits- und Sozialpolitik.

Im Abschlussbericht kommen Sie zu dem Schluss, dass das Pflegepersonal und die Pflegebedürftigen selbst die Qualität der geleisteten Mundhygiene viel besser einschätzten, als sie tatsächlich war. Hat sich das mittlerweile geändert?

In den von uns betreuten Heimen ist das Thema „Gesunder Mund bis ins hohe Alter“ sicherlich angekommen: Auch die objektive Bewertung der Mundgesundheit hat durch die Vielzahl an Schulungsmaßnahmen garantiert an Qualität zugenommen.

Sie schreiben: „Interessant ist das häufig geäußerte Empfinden, die Pflege beispielsweise der Genitalien oder auch das Wechseln der Windeln wären weit weniger problematisch als ein Eingriff in die Mundhöhle.“ Wie kann man dieses Tabu aufbrechen?

Unser – erfolgreicher – Ansatz war, über die Mundgesundheit in der Pflege bereits in den Pflegeschulen zu referieren und Berührungsängste abzubauen. Die gegenseitig praktizierte Zahnpflege der Pflegeschülerinnen in einem Demo-Pflegebett wirkte hierbei Wunder.

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Problem Polypharmazie

Gab es auch Erkenntnisse im Umgang mit alten pflegebedürftigen Menschen, die über die Zahnmedizin hinausgehen, Stichwort Polypharmazie?

Wie im Abschlussbericht beschrieben, wurden bei der von uns ausgewählten, untersuchten und bewerteten Probandengruppe im Schnitt 10,3 Medikamente am Tag verabreicht. Ich betone, nicht Tabletten, sondern unterschiedliche Präparate. Dies hat nachvollziehbar erhebliche Konsequenzen auch im Bereich der zahnmedizinischen Auseinandersetzung.

Ist es richtig, dass die Lebensqualität der Betreuten im Verlauf des Projekts bezogen auf die Mundgesundheit gestiegen und bezogen auf die allgemeine Gesundheit gesunken ist?

Wir konnten einen unmittelbaren Zusammenhang der Lebensqualität bezogen auf die Mundgesundheit feststellen. Hierbei ging es vor allem darum, dies objektivierter, also ausschließlich aus der Sicht der Betreuten, darzustellen. Sicherlich haben auch der wiederholte Besuch und der Austausch, wenn auch primär aus zahnärztlicher Sicht erfolgt, ein positives Gefühl vermittelt.

Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie dem Zahnarzt mitgeben wollen?

Zahnmedizin für den Pflegebedürftigen muss in erster Linie in der aufsuchenden Betreuung erfolgen. Voraussetzung für einen Erfolg ist die Auseinandersetzung mit dem pflegerischen Umfeld und den allgemeinmedizinischen Gegebenheiten. Ganz entscheidend: eine enge Kooperation und Koordination mit den Pflegekräften! Und bitte keine Vorurteile: Die aufsuchende Betreuung ist auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht interessant, vorausgesetzt das Konzept stimmt.

Ihr Fazit: Wie sollte die aufsuchende Betreuung von Pflegebedürftigen gestaltet sein?

Mit dem Pflegeneuausrichtungsgesetz und hier der Möglichkeit eines Kooperationsvertrags geht die aufsuchende Betreuung in die Routine über. Notfallbehandlungen können vermieden, Versorgungskosten eingespart werden. Es bleibt aber dabei: Ohne ein funktionierendes Miteinander von Zahnmedizin und Pflege ist auch die aufsuchende Betreuung zum Scheitern verurteilt.

Die Fragen stellte Claudia Kluckhuhn.

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