Gastkommentar

Politik im Q-Fieber

Andreas Lehr
Die Art und Weise, wie Norbert Schmacke vom G-BA die grassierende Qualitätsseuche in der Gesundheitspolitik kritisiert, ist ziemlich mutig, meint Prof. Dr. Andreas Lehr, gesundheitspolitischer Fachjournalist, L et V Verlag.

Norbert Schmacke, bekannter deutscher Versorgungsforscher (Uni Bremen) und stellvertretendes Unparteiisches Mitglied im G-BA, hat in jüngster Zeit in Sachen Qualität von sich reden gemacht. In einem Artikel in G+S 2/15 unter dem Titel „Das Q-Fieber der Gesundheitspolitik: Über die Frage der Immunisierung“, den er als „Beitrag zum Schutz vor einer weiteren Verbreitung des Q-Fiebers in der Gesundheitspolitik“ verstanden sehen will, geht er mit der grassierenden Qualitätsseuche ins Gericht. Mit unverhohlener Ironie schreibt er über die im GKV-VSG gestellten Erwartungen an das neue Qualitätsinstitut, dass Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen in neue Höhen steigen sollen. Wie er mit internationalen, durchaus bekannten Untersuchungen belegt, hätten derartige Anstrengungen die Realität nur wenig verändert und andere Wege, wie die der gemeinsamen Vereinbarung von Qualitätsstandards, bessere Erfolgschancen. Darüber, ob wettbewerbliche Ansätze Nutzen erbracht hätten, lasse sich – bis auf die Hausarztverträge in Baden-Württemberg – nur wenig aussagen, weil entsprechende Evaluationen fehlten. Kritisch äußert er sich auch über das Gesundheitswesen als „Jobmotor“ – was einschlägig Interessierte der Politik immer wieder vermittelten.

Seine Kritik zieht sich über etliche Bereiche, auch über die Mengendebatte hinweg. Er weist aber auch auf erfolgreiche Projekte im Ausland hin, die bedeutende Qualitätsmängel erfolgreich verringert hätten. So zeige etwa die Bekämpfung von Hospitalinfektionen am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, wie man eine Patientenzentrierung der Medizin – laut Schmacke bisher nur ein Lippenbekenntnis – durch eine neue Kultur der Partnerschaft implantieren könnte. Wie auch immer, die „Politik hat sich mit ihren Maßnahmepaketen völlig übernommen und sich vollends von der Rückbindung an vorliegende wissenschaftliche Ergebnisse zur Qualitätssicherung verabschiedet. […] Die inflationäre Verwendung des Qualitäts- begriffs […] lässt die Deutung zu: Es handelt sich wahrscheinlich am ehesten um symbolische Politik“.

Diese Kritik von Norbert Schmacke, einem renommierten Forscher, kann man nicht einfach vom Tisch wischen, sie ist wissenschaftlich belegbar, gut begründet und mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar. Aber er belässt es nicht bei Kritik, er fordert in einer E-Mail von Mitte Mai unter anderem seine KollegInnen im G-BA auf, „einen Moment anzuhalten und zu fragen, ob Richtung und favorisierte Maßnahmen der aktuellen Gesetzesvorhaben in Sachen Qualitätssicherung noch passen. Ohne ein solches Moratorium wird meines Erachtens die Spanne zwischen Wollen und Können immer größer“. Er fordert in dieser E-Mail zu einer Diskussion auf und gibt der Hoffnung Ausdruck, dass „entgegen meiner Skepsis doch ein Ort des grundsätzlichen Nachdenkens geschaffen werden könnte“!

Mutig, Herr Schmacke, wirklich mutig, öffentlich gegen den Mainstream Qualitätssicherung zu schwimmen! Leider muss man davon ausgehen, dass seine Kritik substanziell des Pudels Kern trifft. Die gesetzlich vorgesehene Form der Qualitätssicherung wird wahrscheinlich l`art pour l`art sein, an der Versorgungsrealität – wenn überhaupt – nur marginal etwas verändern, aber erhebliche finanzielle Mittel verbrennen. Auch Symbolpolitik kann teuer werden. Ebenso wahrscheinlich ist der mit vielen Profiteuren besetzte Qualitätszug nicht mehr aufzuhalten, dazu sind zu viele – auch wirtschaftliche – Interessen im Spiel. An der Versorgungsbasis wird höchstens ein wenig mehr Bürokratie ankommen und die Versicherten zahlen.

Was tun, sprach Zeus? Vielleicht sollten die Leistungserbringer eigene Projekte zur Qualitätssicherung auflegen und konkret versuchen, Qualitätsmängel zu beseitigen, die Projekte zu evaluieren und darüber zu berichten.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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