Demografischer Wandel in China, Japan und Deutschland

Die drei Greisenstaaten

Drei Staaten - ein gemeinsames Problem: Die Menschen in Deutschland, Japan und China werden immer älter, wenig Junge kommen nach. Chronische Erkrankungen sind an der Tagesordnung.

Ein besonderes Problem ist der wachsende Anteil dementer Patienten. Das fordert neue Ansätze in der Versorgung. Während hierzulande und zunehmend auch in Japan gewachsene Pflegestrukturen etabliert sind, ist im Reich der Mitte fast ausschließlich die Familie gefordert. Lange geht das nicht mehr gut, meinen Experten.

In wenigen Wochen werden – nicht zum ersten Mal – Vertreter des Gesundheitsministeriums der „Peoples Republic of China“ zu Besuch nach Deutschland kommen. Anlass ist die 28. Jahrestagung der deutsch-chine-sischen Gesellschaft für Medizin in Berlin am 2./3. Oktober. Ein Thema, das dabei ganz oben auf der Tagesordnung stehen wird, sind die Herausforderungen für das deutsche und das chinesische Gesundheitswesen aufgrund des Anstiegs chronischer Erkrankungen. Denn die Bevölkerungen in beiden Ländern altern. Und viele alte Menschen leiden in der Regel unter mindestens einer nicht-übertragbaren Erkrankung wie Diabetes, Bluthochdruck oder Alzheimer.

Der Anteil der Alten steigt rasant

Einige Zahlen: Im vergangenen Jahr gab es 212 Millionen Chinesen, die älter als 60 Jahre alt waren. In der Volksrepublik leben insgesamt rund 1,3 Milliarden Menschen – und damit (noch) weltweit am meisten. Atemraubend dabei ist nicht nur die bloße Zahl. Beeindruckend ist die Geschwindigkeit, mit der die Bevölkerung im Reich der Mitte altert. Bis 2020, schätzt das China National Health Development Research Center (CNHDRC), ein Thinktank mit Sitz in Peking, werden es bereits mehr als 300 Millionen über 60 Jahre sein. Zwischen 2021 und 2050 gehen die dortigen Wissenschaftler von einem Anstieg auf über 400 Millionen Menschen aus.

„Das ist eine schwerwiegende Entwicklung“, unterstrich die Direktorin des CNHDRC, Prof. Mao Zhengzhong, am Rande des diesjährigen Hauptstadtkongresses in Berlin. „China wird alt, bevor es reich wird“, ergänzte ein Abgesandter des Botschafters Shi Mingde der VR China. Die niedrige Geburtenrate von derzeit 1,66 Kindern pro Frau und die lange Zeit geltende „Ein-Kind-Politik“ der Volksrepublik haben diese Entwicklung massiv verstärkt.

Auch Deutschland entwickelt sich hin zu einem Greisenstaat, mit dem gravierenden Unterschied allerdings, dass hierzulande lediglich rund 80 Millionen Menschen leben. Jeder fünfte Einwohner der Bundesrepublik ist heute älter als 60 Jahre. Bis 2025 werden rund 25 Prozent der Einwohner Deutschlands zu der Gruppe der über 65-Jährigen zählen. Und auch hierzulande schrumpft die Einwohnerzahl massiv. Bis 2060 wird sich die Zahl der in Deutschland lebenden Personen auf rund 65 Millionen Menschen reduzieren, heißt es in der Bevölkerungsprojektion des Statistischen Bundesamtes. Derzeit liegt die Geburtenrate mit 1,38 Kindern pro Frau noch unter der Chinas.

Zu den Greisenstaaten gesellt sich auch Japan. Im westpazifischen Staat leben derzeit rund 127 Millionen Menschen. 2050 werden es noch 97 Millionen sein, erläuterte jüngst Dr. Kazuya Shimura, Abteilungsleiter im japanischen Gesundheitsministerium, auf einem deutsch-japanischen Symposium in Berlin. Von den derzeit 127 Millionen Japanern ist jeder vierte älter als 65 Jahre.

Bis 2025 wird der Anteil der Menschen über 65 Jahre nach Angaben des japanischen Gesundheitsministers Yasuhisa Shiozaki auf 30 Prozent steigen. Und ähnlich wie in China und in Deutschland ist die Geburtenrate in den vergangenen Jahrzehnten schrittweise gesunken. Derzeit liegt sie bei 1,39 Kindern pro Frau. 1950 war das noch anders – damals gebar die japanische Frau im Durchschnitt 3,65 Kinder.

Stagnierende Sozialsysteme bei wachsender Wirtschaft

Anders als Japan und Deutschland ist die Volksrepublik China allerdings nicht vorbereitet auf die Geschwindigkeit, mit der die eigene Bevölkerung älter wird. Obwohl das Wachstum der Wirtschaft zu den eindrücklichsten der jüngsten Geschichte zählt, hat dieses Wachstum lange Zeit nicht dazu geführt, auch das Gesundheits- und andere soziale Sicherungssysteme entsprechend auszugestalten. Sprich: Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist noch immer vergleichsweise gering, auch wenn dieser zwischen 2001 und 2013 von rund 4,5 Prozent auf 5,5 Prozent gestiegen ist.

Allerdings machen private Ausgaben für Gesundheit den Großteil daran aus. Der einzelne Chinese muss noch immer sehr viele Gesundheitsleistungen aus der eigenen Tasche bezahlen. Hinzu kommt eine Versicherungsstruktur, die weit von der in Deutschland entfernt ist. In 2010 waren noch immer knapp 13 Prozent der Chinesen ohne jegliche Versicherung. Bis zu 40 Prozent konnten sich keine professionelle medizinische Behandlung leisten, obwohl sie versichert sind. In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern bedeutet versichert zu sein nicht, den Großteil aller Leistungen zu erhalten wie hier in Deutschland. Es bedeutet lediglich, Basisleistungen zu bekommen, beispielsweise die Übernahme der Geburt.

In 2007 wurden knapp 40 Prozent der Kranken in China gar nicht erst behandelt, weil niemand für die Behandlung auf- kommen konnte, geht aus einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums hervor („Vom Gesundheitssatellitenkonto zur gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung“, BMWi 2013).

Die Regierung hat zwar in den vergangenen Jahren einen Schwerpunkt auf die Ausweitung des Versicherungsschutzes gelegt – Versorgungssysteme für die ländliche Bevölkerung und der Basisversicherungsschutz wurden ausgeweitet. Damit sank der Selbstzahleranteil zwar ein wenig, aber der Anteil an Leistungen, die in China selbst getragen werden müssen, bleibt nach wie vor sehr hoch.

###more### ###title### Die Familie als Pfeiler der Versorgung ###title### ###more###

Die Familie als Pfeiler der Versorgung

Hinzu kommt, dass es noch keine Pflegeversicherung gibt. Wird jemand im Alter pflegebedürftig, muss die Familie ein- springen, erläuterte CNHDRC-Direktorin Zhengzhong auf dem Kongress in Berlin. Die durchschnittliche Pflegezeit pro Familie beträgt dem Thinktank zufolge fünf Jahre, in 31 Prozent der Fälle beträgt die Pflege-zeit rund eine Stunde pro Tag. Stationäre Aufenthalte bei entsprechender Krankheit seien auch deshalb häufig nicht möglich, weil die Versorgungsstrukturen in China (noch) nicht entsprechend entwickelt seien, so Zhenzhong. Es mangelt an Fachkräften im Rehabilitations-, im Pflege- und im Krankenschwesterbereich. „Der Druck auf die Familie ist daher enorm hoch.“

Die VR China ist daher überaus interessiert daran, von Deutschland und dessen Strukturen im Gesundheits- und im Pflegebereich zu lernen. Die medizinisch-pflegerische Versorgung alter Menschen wolle man zu einem Schlüsselgewerbe in China machen, so die CNHDRC-Direktorin.

Darüber hinaus hat die chinesische Regierung im vergangenen Jahr die Ein-Kind-Politik aufgehoben, ein zweites Kind ist nun erlaubt. Weitere Investitionen in den Gesundheitsbereich, insbesondere in die Sicherung des Alters, sind geplant, bis 2020 will die Regierung acht Milliarden Renminbi Yuan ins Gesundheitswesen stecken, berichtete ein Mitarbeiter des Tongji Klinikums in Wuhan auf dem Hauptstadtkongress in Berlin.

Vorbild ist das deutsche Modell

Die rasante Zunahme der Älteren in Japan hatte zur Einführung einer am deutschen Modell orientierten gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 2000 geführt. Davor fand die Pflege älterer Menschen als Teil der Gesundheitsfürsorge ausschließlich im Krankenhaus statt. Allerdings zeichnet sich bereits wenige Jahre nach Einführung dieser Versicherung ab, dass die jetzige Finanzierungsstruktur nicht ausreichend ist. Senioren über 65 Jahre tragen 17 Prozent der Pflegekosten, die 40- bis 65-Jährigen 33 Prozent und der Staat sowie die Kommunen jeweils 25 Prozent. Da die 33 Prozent der mittleren Gruppe zu niedrig kalkuliert sind, plant die Regierung eine schrittweise Anhebung dieses Betrags sowie eine Anhebung der Selbstbehalte.

Eine besondere Herausforderung für alle drei Länder und deren Gesundheitssysteme ist die Zunahme von Menschen mit dementiellen Erkrankungen. In Japan waren 2012 nach Angaben des Referatsleiters Pflegeversicherung im Gesundheitsministerium, Tadayuki Mizutani, 4,62 Millionen Menschen an Demenz erkrankt – das entspricht 15 Prozent der Menschen, die 65 Jahre und älter sind. Mizutani zufolge wird diese Rate bis 2025 auf 19 Prozent steigen – das wären sieben Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen.

Dem deutschen Bundesgesundheitsministerium zufolge leiden in Deutschland bis zu 1,5 Millionen Menschen an Demenz. Bis 2050, heißt es, könne sich diese Zahl verdoppeln. Japan arbeitet mit Hochdruck daran, dieser Entwicklung Herr zu werden. Seit einigen Jahren setzt das dortige Gesundheitsministerium auf Ansätze, die eine Demenz-freundliche Gesellschaft schaffen sollen. Hausärzte haben die Möglichkeit, in diesem Bereich Schulungen zu erhalten.

Ziel ist die Versorgung unter einem Dach

Nach Ansicht von Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen auf dem Hauptstadtkongress erfordert der Umgang mit dem Altern und den damit einhergehenden Erkrankungen generell einen mehrdimensionalen Ansatz. Versorgungsstrukturen wie Pflegewohnungen, Tagespflegeangebote, Beratungsstellen, MVZ, Physiotherapie oder Altensport müssten unter einem Dach stattfinden, damit die alten Menschen kurze und einfache Wege haben, unterstrich die Leiterin der Forschungsgruppe Geriatrie am Evangelischen Geriatriezentrum Berlin an der Charité. Einzelne Krankenhäuser wie das Tongji Klinikum im chinesischen Wuhan verfolgen bereits einen solchen Ansatz. Allerdings mangelt es an Strukturen in der Fläche.

Am Ende stehen die drei Länder vor ähnlichen Herausforderungen, unterstrich Dr. Bernd Montag, CEO von Siemens Healthcare, auf dem Hauptstadtkongress. Den Umsatz, den sein Unternehmen erzielt, generiere es zu wachsenden Teilen in Schwellen- und in Entwicklungsländern. Montag bezog sich auf den Bereich der Medizintechnik – Labordiagnostik, medizinische Bildgebung oder klinische IT-Lösungen. Diese Geräte würden gebraucht, um bestimmte Krankheitsbilder diagnostizieren zu können – und diese Bilder näherten sich an. Vor allem chronische Erkrankungen nähmen zu, und die träten in erster Linie bei älteren und alten Menschen auf.

Insgesamt erzielten deutsche Medizintechnikunternehmen wie Siemens inzwischen den zweithöchsten Umsatz mit Exporten nach China. Dieser habe zuletzt bei 1,3 Milliarden Euro gelegen, nur getoppt von Exporten in die USA mit 3,3 Milliarden Euro. An dieser Entwicklung zeige sich: „Die Krankheitsbilder weltweit nähern sich an.“

Martina MertenFachjournalistin für Gesundheitspolitikinfo@martina-merten.de

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