Editorial

Spahn gibt Gas, es wird kein Spaß

Jens Spahn, man mag von ihm halten, was man will, hat der Gesundheitspolitik wieder deutlich mehr öffentliche Wahrnehmung verschafft. Ich finde es richtig, dass beim Thema Gesundheit auch wieder über Organspende, Pflichtimpfungen, Liposuktion samt Umgehung des G-BA etc. debattiert wird – auch im Parlament.

Ganz anders beim Megathema Digitalisierung. Da wird nicht diskutiert, sondern vorgegeben. Frei nach dem Motto: Was haben Jens Spahn und Gerhard Schröder gemeinsam? Die ergebnisorientierte Basta-Attitüde. Während der damalige Kanzler Schröder auf diese Art und Weise die SPD „regierungsfähig“ hielt, macht es Spahn mittels extrem kurzfristigen Terminen, um den Druck im System zur Erreichung seiner vielen Gesetzesziele hochzuhalten. Reicht basta nicht, schreckt er auch vor massiven Eingriffen in das „System“ nicht zurück. Dann werden halt per Gesetz Übernahmen legitimiert, die letztlich auch nichts anderes sind als die Kaperfahrten früherer Freibeuter, um mal einen etwas martialischen, aber durchaus korrekten Vergleich zu wählen.

Mittels TSVG wurden so die Altgesellschafter der gematik entmachtet. Als da waren: GKV-Spitzenverband, KBV, BÄK, KZBV, BZÄK, DKG (Deutsche Krankenhausgesellschaft) und der DAV (Deutscher Apothekerverband). Damit keiner der Gesellschafter aufmuckt, wurden gleich mal – in bester Seeräubermanier – die Folterinstrumente gezeigt. Und so geschah es – die Gesellschafter stimmten zu. Nach der Überweisung von 510.000 Euro (Nominalwert der Anteile) gibt es nun nicht nur einen Gesellschafter mehr, sondern eben einen, der das Ganze auch dominiert: die Bundesrepublik Deutschland. Die hält nun 51 % der Gesellschafteranteile, die genannten Altgesellschafter dürfen sich die restlichen 49 % teilen. Das war‘s dann mit der Mitbestimmung. Ein mehr als deutlicher Fingerzeig, dass der Weg in Richtung Staatsmedizin führt – Vertreter der Selbstverwaltung dürfen noch mitreden, aber es entscheiden andere.

Und damit die gematik auch im gewünschten Sinne funktioniert „und das Controlling gewährleistet ist“, hat Spahn zugleich das BMG umorganisiert und eine neue Unterabteilung gegründet. Die Unterabteilung 52, zuständig für gematik, Telematikinfrastruktur und eHealth, ist Teil der Abteilung 5, Digitalisierung und Innovation, und wird von Christian Klose geleitet. Dieser ist nun zugleich auch Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der gematik. Jener Christian Klose wurde im Juli 2018 – damals hieß es noch für voraussichtlich zwei Jahre – von der AOK Nordost ans BMG „abgeordnet“. Dort war er zuletzt Projektleiter „Digitales Gesundheitsnetzwerk“, was ihn wiederum zum ausgewiesenen Experten für die elektronische Patientenakte (ePA) macht.

Ein schlauer Schachzug von Spahn, der ja die ePA ins Zentrum der TI gestellt hat – was ja durchaus auch Sinn machen kann. Allerdings erhöht diese Vorgabe die Komplexität der TI nochmals gewaltig. Da aber Komplexität und Zeitbedarf für Spezifierung durch die gematik und folgend die Programmierung durch die Industrie in einem direkten Verhältnis stehen, gibt es bereits das erste prominente Opfer: die Datenhoheit des Patienten. Die gematik sieht sich nämlich außerstande, im vorgegebenen, extrem engen Zeitrahmen eine entsprechende Spezifizierung der ePA zu leisten. Denn bis Januar 2021 soll, so die politische Festlegung, für jeden Patienten in Deutschland eine ePA gemäß §291a SGB V zur Verfügung stehen. Damit wird aber das seit 2004 zentrale Argument der informationellen Selbstbestimmung des Patienten gekippt. Nix mehr mit Verfügungshoheit des Patienten über seine Dokumente in der ePA. Gelöst werden soll das „Problem“ dann in der zweiten Ausbaustufe. Das ist so, als ob das Versprechen auf individuelle Mobilität mit einer Schubkarre statt mit einem Automobil eingelöst wird.

Wo bleibt eigentlich der Aufschrei all der Patientenverbände und der sich sorgenden Politiker? Wenn man aber schon bei der ePA, dem geplant zentralen Element der TI, zu solch schwerwiegenden Kompromissen bereit ist, was passiert dann eigentlich bei den zentralen Themen Datenschutz und Datensicherheit? In Anbetracht all der Apps – zukünftig manche von ihnen auch auf Krankenschein –, die gemäß dem politischen Wunsch in die ePA integriert werden sollen, dürfen wir uns angesichts der Spahn‘schen Tempomanie auf Kompromisse gefasst machen, die noch vor Kurzem mit dem Auftrag und dem Anspruch der gematik unvereinbar waren.

So gesehen hat es auch was Gutes, nur noch Minderheitsgesellschafter zu sein.

Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur

Dr. Uwe Axel Richter

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