Der Vater der PZR ist tot
In der Zahnmedizin gilt Per Axelsson als einer der visionären Wegbereiter, der den entscheidenden Anstoß für die flächendeckende Einführung der professionellen zahnärztlichen Prävention gegeben hat. Seit den Arbeiten von Willoughby Dayton Miller – 1890 erschien sein Buch „The Microorganisms of the Human Mouth“ – war der Mechanismus der Kariesentstehung in der Zahnmedizin bekannt.
In den späten 1960er-Jahren setzte sich die Überzeugung durch, dass die bakterielle Plaque die Hauptursache für die Entstehung von Karies und Parodontitis darstellt. Um Erkrankungen zu verhindern, galt es nun vor allem, die Plaque zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund begann Per Axelsson, der 1960 sein zahnmedizinisches Studium an der Universität Stockholm beendet und 1961 eine Zahnarztpraxis in Karlstad eröffnet hatte, Anfang der 1970er-Jahre seine bekannt gewordenen Studien.
Im Zentrum stand Die Bekämpfung der Plaque
Er arbeitete von 1970 bis 1975 neben seiner Tätigkeit in der eigenen Praxis an der Abteilung Parodontologie der Universität Göteborg unter Prof. Dr. Jan Lindhe und entwickelte gemeinsam mit ihm ein individuelles Prophylaxeprogramm, für das in den Jahren 1971 und 1972 über 550 Probanden rekrutiert wurden. 375 Probanden kamen in die Testgruppe und erhielten bedarfsorientiert umfangreiche Mundhygieneinstruktionen für die häusliche Mundhygiene und eine professionelle mechanische Zahnreinigung mit fluoridhaltiger Zahnpasta.
Der Wegbereiter der Professionellen Prävention
Prof. Dr. Stefan Zimmer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM)
In den ersten zwei Jahren wurden die Patienten alle zwei Monate, vom dritten bis zum sechsten Jahr alle drei Monate und danach bis zum 30. Jahr in bedarfsorientierten Intervallen von drei bis zwölf Monaten einbestellt. Jährlich dokumentiert wurden die Parameter Kariesbefall, Gingivitis (BoP) und Sondierungstiefe (PPD). Umfassende Befunderhebungen fanden nach 3, 6, 15 und 30 Jahren statt – diese dokumentierten zusätzlich die Parameter Plaque, sondierte Attachmenthöhe (PAL) und Parodontalstatus (CPITN-Code).
2004 wurden die 30-Jahres-Ergebnisse veröffentlicht. Neben den festgestellten rundum positiven Ergebnissen des Prophylaxeprogramms war insbesondere die starke Bindung der Patienten an das Prophylaxeprogramm bemerkenswert: Von 375 Teilnehmern waren nach 30 Jahren immer noch 257 Patienten in der Studie, 49 waren verstorben, 61 umgezogen, nur 8 hatten das Interesse an der Oralprophylaxe verloren.
Die Effekte des Prophylaxeprogramms waren jedoch nicht erst in der Langzeitbetrachtung zu sehen. Bereits wenige Jahre nach dem Start zeigte sich, dass die Teilnehmer der Testgruppe von der professionellen Mundhygiene profitierten und einen besseren Mundgesundheitszustand entwickelten als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die keine professionelle Hilfe erhielten. Das Prophylaxeprogramm zeigte eine so deutliche Wirkung, dass nach sechs Jahren schließlich die Kontrollgruppe aus ethischen Erwägungen heraus aufgelöst wurde – Axelsson hielt es nicht mehr für vertretbar, die Patienten der Kontrollgruppe im Dienste der Wissenschaft weiterhin auf die Nicht-Vorsorge zu verpflichten.
Axelssons Prophylaxe – der Vorläufer der PZR
Die Auflösung der Kontrollgruppe sollte jedoch noch für Diskussionen sorgen. Als Jahrzehnte später das von Axelsson und Lindhe einst entworfene Prophylaxeprogramm modifiziert als Professionelle Zahnreinigung (PZR) flächendeckend in deutschen Zahnarztpraxen Einzug gehalten hatte, prüfte der MDK, Verläufer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS), die Wirksamkeit der PZR anhand wissenschaftlicher Evidenzkriterien. Die Studien von Axelsson und Lindhe wurden aus der Betrachtung der Evidenz ausgeschlossen, da man nur Untersuchungen des nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin (EbM) aussagekräftigsten RCT-Standards berücksichtigen wollte. RCTs fordern aber zwingend den Vergleich von Test- und Kontrollgruppen. Der Verweis auf die Auflösung der Kontrollgruppe aus ethischen Gründen half nicht. Dass ärztlich-ethisches Verhalten zum Ausschluss aus der Evidenzbewertung führte, erboste viele Zahnärzte ganz besonders. Bis heute bewertet daher der MDS den Nutzen der PZR für Erwachsene ohne Parodontitis als „unklar“.
Ein visionärer Wissenschaftler
Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV
Noch heute leben wir von den Gedanken Axelssons
Prof. Dr. med. dent. Thomas Kocher, Universität Greifswald
Ein Leben für die Prävention
Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Bonn
Er hat gezeigt, wie Prävention erfolgreich ist!
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer
Ungeachtet dessen haben die von Axelsson initiierten Studien einen Paradigmenwechsel von der kurativen zur präventiv orientierten Zahnmedizin eingeleitet. Professionelle Vorsorge gehört heute zu den selbstverständlichen Leistungen einer Zahnarztpraxis und genießt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Die enorme Strahlkraft seiner Arbeiten auf die Zahnmedizin beruhte auch darauf, einen Weg aufgezeigt zu haben, wie Prophylaxe nicht nur unter den „Laborbedingungen“ einer Studie, sondern konkret in der Zahnarztpraxis umsetzbar ist. Axelsson und Lindhe hatten mit ihrem Prophylaxeprogramm ein strukturiertes, in der Praxis gut umsetzbares Ablaufprotokoll entwickelt, das schließlich zum Vorbild für die heutige PZR wurde. Heute profitieren Millionen Menschen in aller Welt davon.