Wissenschaftliche Mitteilung der DGFDT

Neubeschreibung der CMD-Therapie

Heftarchiv Zahnmedizin
Bruno Imhoff
Die wissenschaftliche Mitteilung zur zahnärztlichen Funktionstherapie zählt zu den wichtigsten zahnärztlichen Standardbeschreibungen in Deutschland. Nach mehreren Updates war es nun Zeit für eine Neufassung. Der neue Titel „Zur Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen“ grenzt die CMD-Therapie bewusst von der Bruxismus-Therapie ab und beschreibt den Stand auf der Basis von 1.200 Literaturquellen von 2015 bis 2022.

Wie schon in der Vergangenheit lag die Koordination bei der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGDFT); fünf weitere Fachgesellschaften wirkten an der Neufassung mit.

Die unverzichtbare Grundlage der CMD-Therapie ist zunächst die seitens der DGFDT im Jahr 2016 vorgenommene Definition und Abgrenzung der CMD von anderen Entitäten. Demnach ist eine craniomandibuläre Dysfunktion definiert als Schmerzen und/oder Dysfunktionen im Bereich der Kiefermuskeln, der Kiefergelenke und/oder der Okklusion. „Temporomandibular disorder“ (TMD) beziehungsweise deren deutsches Synonym „Myoarthropathien“ (MAP) weichen davon insofern ab, als sie Bezüge zur Okklusion und okklusal verursachte Zahnschmerzen ausschließen. Andere Schmerzen und Beschwerden in entfernteren Körperregionen, auch der direkt benachbarten Hals-Nacken-Region, sind als Komorbiditäten von der CMD abzugrenzen.

Definition der craniomandibulären Dysfunktion

Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) umfasst Schmerz und/oder Dysfunktion:

Schmerz tritt in Erscheinung als Kaumuskelschmerz und/ oder Kiefergelenkschmerz sowie als (para)funktionell bedingter Zahnschmerz.

Dysfunktion kann in Erscheinung treten in Form von

  • schmerzhafter oder nicht schmerzhafter Bewegungseinschränkung (Limitation), Hypermobilität oder Koordinationsstörung (auf Unterkieferbewegungen zielender Aspekt),
  • schmerzhafter oder nicht schmerzhafter intraartikulärer Störung (auf das Kiefergelenk zielender Aspekt),
  • die Funktion störenden Vorkontakten und Gleithindernissen (auf die Okklusion zielender Aspekt).

Grundsätze der CMD-Diagnostik

Zur Diagnostik craniomandibulärer Dysfunktionen (CMD) sind die Erfassung somatischer Funktionsbefunde (in Bezug auf Kiefermuskeln, Kiefergelenke, Okklusion) sowie Screenings in Bezug auf verschiedene Risikofaktoren etabliert (übermäßige Stressbelastung, Angststörungen, Depressionen, Komorbiditäten wie zum Beispiel Schmerzchronifizierung/Schmerzerkrankung).

Aufklärung und Beratung

Deutlich hervorgehoben wird in der neuen Mitteilung die Bedeutung von Aufklärung, Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe. Diese Aspekte sollten stets Teil des Therapiekonzepts sein. Dazu gehört auch die Information, dass Schmerzen und Beschwerden einer craniomandibulären Dysfunktion in aller Regel eine gute Prognose haben.

Abzugrenzen sind CMD-Beschwerden, die Ausdruck einer Schmerzerkrankung und/oder starker unspezifischer Belastungen sind. Daher ist vor Therapiebeginn die Erfassung von Belastungsfaktoren international anerkannter Therapiestandard. In Anlehnung an einen internationalen Forschungsstandard aus dem Jahr 1992 (RDC/TMD) werden diese Faktoren als Achse II bezeichnet; deren systematische Erfassung bildet daher ein Achse-II-Screening.

Grundsätze der CMD-Therapie

Generell stehen reversible oder minimalinvasive Verfahren im Mittelpunkt der initialen zahnärztlichen Funktionstherapie.

Geräusche der Kiefergelenke (Knacken und Reiben) beunruhigen oftmals Betroffene und Behandelnde. Hierzu wird festgestellt, dass Kiefergelenkgeräusche allein in der Regel keiner Behandlung bedürfen. Dies kann sich ändern, wenn Schmerzen oder Funktionsbeeinträchtigungen bestehen.

In der Funktionstherapie stehen verschiedene Therapiemittel zur Verfügung; diese werden einzeln oder in Kombination eingesetzt.

Okklusionsschienen

Als zahnärztliche Maßnahmen haben sich Okklusionsschienenbewährt. Unterschieden werden drei Schienentypen, die indikationsbezogen eingesetzt werden können. Relaxierungsschienen (zum Beispiel Typ Michigan) können mit hoher therapeutischer Sicherheit und sehr geringem Nebenwirkungspotenzial (auch langfristig) eingesetzt werden. Reflexschienen (zum Beispiel anteriores Plateau, Frontzahn-Jig) sind ebenfalls wirksame Therapiemittel. Sie werden aufgrund ihres Nebenwirkungsrisikos in der Regel nur kurzzeitig eingesetzt.

Positionierungsschienen sind besonderen Fällen vorbehalten, in der Regel, wenn eine Arthropathie Ursache von Schmerzen oder Funktionseinschränkungen ist. Sie werden für mehrere Monate dauerhaft getragen. Ein Ausschleichen aus dem dauerhaften in einen nur stundenweisen Tragerhythmus nach spätestens sechs Monaten reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass eine Folgebehandlung erforderlich wird.

Merksatz zu Relaxierungsschienen

Relaxierungsschienen mit äquilibrierter Okklusion können mit einer hohen therapeutischen Sicherheit und einem geringen Umfang an Nebenwirkungen eingesetzt werden.

Spezifische kieferorthopädische Verfahren zur Therapie der CMD an sich fanden sich in der Literatur nicht; die CMD wird nicht primär mittels kieferorthopädischer Verfahren therapiert. Es können solche kieferorthopädischen Geräte eingesetzt werden, deren Wirkung ähnlich der von Okklusionsschienen ist. Besonders eng sollte das Indikationsspektrum für Folgebehandlungen nach zahnärztlicher Funktionstherapie gefasst werden. Die Autorengruppe betont, dass prothetische und/oder dauerhafte kieferorthopädische Maßnahmen nur in besonderen Ausnahmefällen und nach erfolgreicher Funktionstherapie begründet sind. In der Regel betrifft dies Situationen, in denen nach Abschluss der Funktionstherapie die Funktion der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke wiederhergestellt ist, die therapeutische Kieferrelation aber mit einer unphysiologischen statischen und/oder dynamischen Okklusion einhergeht.

Wenn im Rahmen der funktionellen Behandlung kein ausreichender Therapieerfolg erzielt werden kann, sollte eine weitergehende Abklärung der Belastungsfaktoren erfolgen und auf eine Umsetzung der therapeutischen Kieferrelation verzichtet werden.

Nach dem neuen Standard sollten Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke, wenn eine fachgerechte konservative Funktionstherapie von einigen Wochen keine Linderung bringt, durch minimalinvasive chirurgische Verfahren therapiert werden (Arthrozentese, gegebenenfalls Arthroskopie). Weitere chirurgische Verfahren werden in der wissenschaftlichen Mitteilung adressiert; sie sind spezifischen Krankheitsbildern vorbehalten.

Multimodale Therapie

Insbesondere bei myogenen Beschwerden sind physiotherapeutische Maßnahmen ergänzend zur Schienentherapie ein bewährtes Therapiemittel. Ergänzend oder alternativ hierzu können auch physikalisch-medizinische Maßnahmen hilfreich sein.

CMD-Patienten mit lang andauerndem und/oder besonders intensivem Schmerzerleben profitieren in aller Regel von psychologischen Therapieverfahren. Insbesondere die verschiedenen Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie helfen Betroffenen, besser mit ihrem Beschwerdebild umzugehen und ihre Lebensqualität zu verbessern. Wichtig ist ebenso die Erkennung von Schmerz als Krankheit. In diesen Fällen ist die Zuweisung zu entsprechenden Fachärzten angezeigt.

Bei Verdacht auf das Vorliegen weiterer Krankheitsbilder ist es sinnvoll, ärztliche Konsile einzuholen (Orthopädie, Neurologie, Schmerzmedizin etc.).

Selten erforderlich ist der Einsatz von Medikamenten. Einfache Schmerzmittel (Paracetamol, Ibuprofen und Diclo­fenac) stehen hierbei im Mittelpunkt. Bei vorerkrankten und/oder polymedizierten Betroffenen sollte die Verordnung von Muskelrelaxantien, entzündungshemmenden Medikamenten oder sonstigen Pharmaka zuvor mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten abgestimmt beziehungsweise die Verordnung dieser Medikamente in deren Hand gelegt werden.

Angesichts der Einschränkungen in der Indikation systemisch eingenommener Muskelrelaxantien ist zur Therapie von Myalgien nun erstmals die lokale Injektion von Botulinumtoxin in die Kaumuskulatur benannt. Die Anwendung erscheint als Reservetherapiestufe sinnvoll, wenn vorab mit den anderen vorstehend beschriebenen Maßnahmen kein ausreichender Therapieerfolg erreicht werden konnte, und wenn diese begleitend zur Injektion von Botulinumtoxin fortgeführt werden. Wenn Betroffene von dieser Therapieoption profitieren, ist es regelmäßig erforderlich, die Injektionen nach mehreren Monaten zu wiederholen, um die Wirksamkeit zu erhalten. Eine erweiterte Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen dieser Off-Label-Therapie ist unbedingt erforderlich. Es ist nicht sinnvoll, Botulinumtoxin als alleinige Maßnahme einzusetzen.

Der vorliegende Beitrag ist eine kurze Zusammenfassung und soll Zahnärztinnen und Zahnärzte dazu anregen, den gesamten Text der neuen Wissenschaftlichen Mitteilung zur Therapie der craniomandibulären Dysfunktion aufmerksam zu lesen, um Ihre Therapiekonzepte mit dem aktuellen Stand abzugleichen.

Diese Wissenschaftliche Mitteilung wurde erstellt von Imhoff B (Koordination), Ahlers MO (DGFDT), Lux C (DGKFO), Kirschneck C (DGKFO), Neff A (DGMKG), Ottl P (DGPro), von Piekartz H (DVP) und Wolowski A (AKPP) und ist auf der Webseite der DGFDT veröffentlicht: https://www.dgfdt.de/documents/266840/35559542/Wissenschaftliche+Stellungnahme+Therapie+der+CMD_05.2022/13f4072e-a5b8-4524-b2a1-8dd73630310a

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