9. Herbert-Lewin-Preis verliehen

„Noch nie stand unser Preis in einem so aktuellen Licht“

Susanne Theisen
In Berlin wurde Mitte November zum neunten Mal der Herbert-Lewin-Preis vergeben. Damit geehrt werden wissenschaftliche Arbeiten, die sich der Aufarbeitung der Geschichte der Ärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus widmen.

Zur Preisverleihung im Jüdischen Museum in Berlin waren auch Margot Friedländer und Dr. Leon Weintraub gekommen. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, dankte den beiden „außergewöhnlichen Ehrengästen“ und Überlebenden der Shoah für ihr jahrzehntelanges Engagement als Zeitzeugen.

„Nie stand die Verleihung unseres Forschungspreises in einem so aktuellen Licht wie heute“, sagte Reinhardt in seiner Rede. „Die Terrorangriffe der Hamas haben tausendfach Leid über die Menschen in Israel und die Zivilbevölkerung im Gazastreifen gebracht.“ Der BÄK-Präsident verurteilte die antisemitischen Übergriffe und Kundgebungen weltweit und in Deutschland. „Die bittere Wahrheit ist: Jüdinnen und Juden müssen sich in Deutschland wieder fürchten, wenn sie sich im öffentlichen Raum als Juden zu erkennen geben“, so Reinhardt. „Wir Gesundheitsberufe müssen jetzt unmissverständlich klarstellen, dass in unserer Gesellschaft Antisemitismus keinen Platz hat!“

Der Herbert-Lewin-Preis, der jedes Jahr vom Bundesgesundheitsministerium (BMG), der BÄK, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) vergeben wird, hat das Ziel, die Geschichte der Ärzte- und Zahnärzteschaft in der Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. 90 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten sei der Blick in die Vergangenheit auf die „kalte Brutalität des Naziterrors“ nach wie vor eine gesellschaftliche Verpflichtung für die Zukunft, mahnte Reinhardt im Rahmen der Preisverleihung.

Unvorstellbarer Verlust von Beruf, Heimat und Familie

Den ersten Preis der Jury teilen sich in diesem Jahr zwei Wissenschaftler: Der Mediziner Dr. Amir Wechsler wurde für seine Arbeit „‘Ich ging nur mit einem kleinen Handköfferchen aus Dortmund fort‘ – Die Verfolgung und Vertreibung der deutsch-jüdischen Ärzte in Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus“ ausgezeichnet. Die akribische Darstellung der einzelnen Biografien vermittle einen tiefgehenden Eindruck vom Leid der Betroffenen, heißt es in der Begründung der Jury. Es werde abgebildet, welchen Schmerz die Verfolgten erleiden mussten, als ihnen die berufliche Integrität mit dem Entzug der Zulassung genommen, die ärztliche Approbation aberkannt und der Doktorgrad entzogen wurde. Wechslers Arbeit zeige zudem, welche unvorstellbaren Qualen die Verfolgten durch den Verlust der Heimat und von Familienangehörigen erlebten. Die Opferperspektive lasse sich auf die Fläche des gesamten damaligen Reichsgebiets spiegeln.

Den ersten Preis erhielt auch der Medizinhistoriker Aaron Pfaff für seine Arbeit zur „Geschichte der verfassten Ärzteschaft auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg von 1920 bis 1960“. Die 40 Jahre umfassende Analyse offenbart nach Ansicht der Jury die Verstrickungen der ärztlichen Standesorganisationen während der NS-Zeit sowie die Kontinuität der schuldhaften Akteure und deren Verbleiben in einflussreichen Positionen auch nach 1949. Unterstützt wurde die wissenschaftliche Arbeit von der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Die Arbeit könne als Muster und Anregung sowie als politisches Signal für andere Standesorganisationen dienen, ihre eigene Geschichte proaktiv aufzuarbeiten und sich mit ihr und den belasteten ehemaligen Mitgliedern nach nunmehr fast 80 Jahren nach Kriegsende auseinanderzusetzen, so die Jury.

Geschichte darf sich nicht wiederholen

Der Herbert-Lewin-Preis soll an engagierte Ärztinnen und Ärzte und Zahnärztinnen und Zahnärzte erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. „Der Preis trägt mit dazu bei, Erfahrungen aus der Vergangenheit erlebbar und für die Zukunft nutzbar zu machen, damit sich Geschichte nicht wiederholt. Dies ist in Zeiten des brutalen Terrors gegen Jüdinnen und Juden sowie weltweiter antisemitischer Übergriffe wichtiger denn je“, betonen die Initiatoren.

Insgesamt 15 Arbeiten wurden eingereicht, darunter auch das digitale Projekt „Gegen das Vergessen – Lebendige Erinnerungen gegen das Vergessen“der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Die Jury lobt das Projekt „als innovativen, interaktiven und zukunftsweisenden Weg, geschichtliche Aufarbeitung für einen größeren Personenkreis greifbar und sichtbar zu machen“. Die Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern, die mit eigenen Recherchen zu diesem Projekt beigetragen haben, unterstreiche die Breitenwirkung dieser Initiative.

Herbert Lewin wurde am 1. April 1899 in Schwarzenau geboren. Nach seinem Medizinstudium arbeitete er in der jüdischen Poliklinik in Berlin, ab 1937 bis zu seiner Deportation als Chefarzt im jüdischen Krankenhaus in Köln. Nach seiner Befreiung nahm er seine Arzttätigkeit wieder auf. Von 1963 bis 1969 war er Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Lewin starb am 21. November 1982 in Wiesbaden.

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