Aus der Wissenschaft

Führt eine Kariesprävention mit Fluoridlack zu mehr Fluorose?

Elmar Hellwig
Obwohl die wissenschaftlichen Fachgesellschaften in der Zahnmedizin unisono die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasten zur Kariesprävention empfehlen, wird nach wie vor mit der Fluoridfreiheit als positiver Eigenschaft von Zahnpasten geworben. Drei Forscherinnen aus Schweden haben nun unter anderem untersucht, ob Kinder mit hohem Kariesrisiko, die zusätzlich zur Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasta halbjährlich mit Fluoridlack behandelt wurden, Fluorosen entwickelt haben. Das Ergebnis ist wenig überraschend, kann aber für Patientengespräche hilfreich sein.

Fluoride sind nach wie vor ein wichtiger Baustein in der Kariesprävention. Glaubte man früher, dass systemisch gegebenes Fluorid im Zahnschmelz eingebaut werden muss, um einen maximalen protektiven Effekt zu erzielen, weiß man heute, dass die lokale Applikation von Fluoriden bedeutsam ist. Dabei werden die Demineralisationsprozesse an der Zahnoberfläche so beeinflusst, dass eine Karies verhindert oder zum Stillstand gebracht werden kann. Doch auch bei der Anwendung lokaler Fluoridierungsmaßnahmen wird unweigerlich Fluorid verschluckt. Dabei ist es wichtig, dass bestimmte toxikologisch definierte Grenzen nicht überschritten werden. Werden diese, zum Beispiel während der Zahnentwicklung (erste 15 bis 30 Lebensmonate) überschritten, so kann es zu fluorotischen Veränderungen der bleibenden Zähne kommen.

In Gebieten mit Trinkwasserfluoridierung (1 ppm) wird die Fluoroseprävalenz mit 48 Prozent angegeben, dabei sind aber nur 12,5 Prozent tatsächlich ästhetisch von Bedeutung [McDonagh et al., 2000]. Allerdings kann es auch in Gebieten ohne Trinkwasserfluoridierung zu fluorotischen Veränderungen an den bleibenden Zähnen kommen, wenn die tägliche Fluoriddosis zu hoch ist. Dies könnte zum Beispiel passieren, wenn fluoridhaltige Zahnpasten in zu hoher Dosierung beziehungsweise zu häufig bei Kleinkindern angewendet werden.

Leider wurden aber in den vergangenen Jahren mit dieser Begründung fluoridfreie Zahnpasten sehr stark beworben. Es stellt sich also die Frage, ob es durch die lokale Anwendung von Fluoridpräparaten in der empfohlenen Dosis tatsächlich zur Entstehung von Fluorose kommt. Für Deutschland gibt es allerdings nur wenige aktuelle Daten zur Fluorosehäufigkeit aus klinischen Untersuchungen. Drei Wissenschaftlerinnen des Karolinska-Instituts in Stockholm haben nun in einer Nachbeobachtungsstudie untersucht, ob Kinder, die in den Jahren 2011 bis 2014 an einer Präventionsstudie mit Fluoridpräparaten teilgenommen hatten, in der Folgezeit vermehrt Fluorosen entwickelten.

Material und Methode

Die Präventionsstudie fand in Stockholm statt, wo der Trinkwasserfluoridgehalt kleiner als 0,2 ppm ist. Es wurden Kinder im Alter zwischen einem Jahr und drei Jahren mit einem hohen Kariesrisiko eingeladen, an einem zweijährigen Präventionsprogramm teilzunehmen. Ziel war dabei, die Entstehung von Karies durch frühe Interventionen zu verhindern beziehungsweise die Mundgesundheit der Kinder zu verbessern. Beim ersten Besuch wurden die Eltern angewiesen, die Zähne ihrer Kinder zweimal am Tag mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta (1.000 bis 1.450 ppm) zu putzen. Die Zahnpastamenge sollte der Größe des Fingernagels der kleinen Kinder entsprechen. Bei der Hälfte der Kinder wurde zusätzlich zweimal im Jahr ein Fluoridlack (Duraphat, 22,6 mg/ml Fluorid) aufgetragen.

Für die Nachbeobachtungsstudie wurde dann die Fluoroseprävalenz bei einer zufällig ausgewählten Stichprobe (774 Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren) bestimmt, zusätzlich wurden Röntgenbilder und Fotos von den Zähnen angefertigt. Für die Diagnose wurde der TF-Index angewendet. Insgesamt 454 Kinder konnten letztlich vollständig untersucht werden.

Ergebnisse

Es zeigte sich, dass 29,7 Prozent der Kinder fluorotische Veränderungen der Zähne aufwiesen. 26,5 Prozent hatten einen TF-Indexwert von 1, das bedeutet eine sehr milde Fluorose ohne ästhetische Beeinträchtigung. Dabei entwickelten Kinder, die zusätzlich zur Verwendung von fluoridhaltiger Zahnpasta zweimal im Jahr eine Fluoridlack-Applikation erhielten, nicht mehr fluorotische Veränderungen der Zähne als die Kinder, deren Zähne nur mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta geputzt wurden. Gleichzeitig konnte man jedoch auch feststellen, dass Kindern, bei denen bereits im Alter von einem Jahr die Zähne mit der empfohlenen Zahnpasta geputzt wurden, mehr fluorotische Veränderungen entwickelten, als Kinder, bei denen erst später fluoridhaltige Zahnpaste zum Einsatz kam. Die Autoren kommen dabei zu dem Schluss, dass es wichtig ist, sowohl das Alter der Kinder als auch den Fluoridgehalt der Zahnpasta beziehungsweise die Zahnpastamenge zu berücksichtigen, wenn man eine maximale Kariesprävention bei gleichzeitiger Minimierung der Fluoroseentstehung anstrebt. In diesem Zusammenhang wird auf eine andere Untersuchung hingewiesen, in der es zu einem wesentlich geringeren Fluoroserisiko kam, wenn den Kindern die Zähne nach einer Mahlzeit geputzt wurden.

Fazit für die Praxis

In Deutschland sollen Kinderzahnpasten einen Fluoridgehalt von 1.000 ppm nicht überschreiten. Dabei wird zunächst eine reiskorngroße Menge (bis zum zweiten Geburtstag) und anschließend eine erbsengroße Menge empfohlen. Berücksichtigt man die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, so kann davon ausgegangen werden, dass bei Befolgung dieser Empfehlungen kein toxikologisches Risiko besteht. Insofern gibt es keine Begründung für die Empfehlung einer fluoridfreien Zahnpasta für die Kariesprävention bei kleinen Kindern. Gleichzeitig zeigt diese Untersuchung, dass die zusätzliche Applikation von Fluoridlack (2 x jährlich) bei kleinen Kindern das Fluoroserisiko nicht erhöht.

Fluoridlack künftig unabhängig vom Kariesrisiko Kassenleistung

Fluoridlack spielt eine wichtige Rolle in der Kariesprävention des Milchgebisses. Im Januar 2024 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss eine Ausweitung des Leistungsumfangs der GKV: War bislang für bestimmte Altersgruppen der Einsatz von Fluoridlack zulasten der GKV an das Kriterium des „hohen Kariesrisikos“ gekoppelt, so soll diese Voraussetzung jetzt entfallen. Künftig soll die Fluoridlackanwendung für alle Kinder bis zum sechsten Geburtstag Kassenleistung werden. Der Beschluss muss noch durch das Bundesministerium für Gesundheit bestätigt werden, ehe er in Kraft treten kann.

Eine Ausnahme besteht möglicherweise dann, wenn die Kinder Fluoridtabletten nehmen, aber das ist in den Fluoridempfehlungen in Deutschland berücksichtigt.

Die Studie:
Kassem et al.: Extended caries prevention programme with biannual application of fluoride varnish for toddlers: prevalence of dental fluorosis at ages 7-9 years and associated factors; Acta Odontol Scand 81:368-373 (2023) 

Literaturliste

  • McDonagh et al.: Systematic review of water fluoridation. BMJ 2000, 321; 855-859.

Prof. Dr. Elmar Hellwig

Universitätsklinikum Freiburg, Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg

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