Zahnärztin führt einen „Haushaltstag“ pro Monat ein

„Für die Organisation von Familien ist das ein riesiger Vorteil“

Zwei Jahre nach ihrer Praxisgründung in Potsdam führte Dr. Manina Knobloch einen Haushaltstag – einen freien Tag pro Monat – für in Vollzeit angestellte ZFA ein. Im Interview erklärt sie, wieso sie die Maßnahme für zeitgemäß hält, was diese für die Praxisorganisation bedeutet und wie sie mit der Kritik umgeht, sie wolle damit lediglich Personal abwerben.

Frau Dr. Knobloch, wie kamen Sie auf die Idee, einen Haushaltstag in Ihrer Praxis einzuführen?

Dr. Manina Knobloch: In den ersten beiden Jahren meiner Selbstständigkeit habe ich SEHR viel Zeit mit und in der Praxis verbracht. Jeder, der sich selbstständig macht, kennt die Thematik der Neustrukturierungen, der Unternehmensführung etc. Dabei stellt man sich selbst hinten an, was in dieser Zeit absolut normal ist. Dieses Jahr nun war ich aber gezwungen, einen Arzt aufzusuchen und habe mir dafür Zeit von der Praxis ausgestrichen, musste also Patienten abbestellen. Als es dann um einen Auswertungstermin ging, wurde schnell klar, dass es wieder nur möglich ist, erneut Patienten abzubestellen. Ich erzählte das meiner Mutter, die mir daraufhin von den Haushaltstagen in der DDR berichtete. Ich war begeistert und wollte es sofort in meiner Praxis umsetzen.

Geschenkte freie Zeit – und sei es nur ein Tag pro Monat – bei vollem Lohnausgleich, kann das für Sie als Praxischefin gut gehen? Oder anders gefragt: Wie ist das wirtschaftlich darstellbar?

In einem Unternehmen ist man sehr auf die Loyalität jedes einzelnen Mit­arbeitenden angewiesen. Für mich geht es in erster Linie um eine Identifikation des Arbeitnehmers mit dem Unternehmen. Ich als Einzelpraxisinhaberin kann weder Gehälter bezahlen, wie es in großen Zahnarztpraxen gang und gäbe ist, noch kann ich Angebote wie Leasingautos oder Wohnraum machen. Und weder kann noch möchte ich Einstiegsprämien von vielen hunderten bis tausenden Euro bezahlen, womit teilweise MVZ werben.

Daher finde ich den Gedanken gut, neue Benchmarks in die Praxis zu integrieren, die für mich auch umsetzbar sind. Ein Großteil der Zahnärzteschaft und ein noch größerer Teil des zahnmedizinischen Personals sind Frauen. Die Folge ist, dass kaum noch jemand Vollzeit arbeiten kann und möchte, da es kaum Möglichkeiten gibt, die Vielseitigkeit des Lebens als Mutter, Ehefrau und Mensch in einer Vollzeitstelle zu bewerkstelligen.

Ein Haushaltstag steht einer Vollzeitkraft einen Tag im Monat zu (egal ob Mann oder Frau) – ausgenommen sind Monate, in denen sowieso Urlaub und Brückentage eingetragen sind. Wenn ich meinen Vollzeitangestellten solch ein Angebot unterbreite, dann erwarte ich auch, dass die Mitarbeiter sich so strukturieren, dass es nicht zum Nachteil des Unternehmens führt. Solche Haushaltstage müssen geplant werden, dass ist klar.

Ein halbes Jahrhundert gab es ihn – den „Haushalts-“ oder „Waschtag“

Er war ein voll bezahlter, arbeitsfreier Tag, an dem ein Arbeitnehmer sich um Arbeiten im Haushalt und andere Familienangelegenheiten kümmern konnte, ohne dafür Urlaub nehmen zu müssen: Der „Haushaltstag“, häufig auch „Waschtag“ genannt. Von den Nationalsozialisten 1939 als Maßnahme zugunsten der für die Rüstungswirtschaft kriegsverpflichteten Frauen eingeführt, wurde er 1943 gesetzlich festgeschrieben. Nach dem Krieg wurde der Tag Ende der 1940er-Jahre in der Bundesrepublik und 1952 in der DDR wieder eingeführt. Zunächst galt er nur für verheiratete Frauen, die mehr als 40 Wochenstunden arbeiteten, nach und nach änderten sich jedoch auf beiden Seiten der Grenze die Modalitäten, unter denen der Tag gewährt wurde. Während in Westdeutschland das Bundesverfassungsgericht den Tag 1979 wegen der Ungleichbehandlung beider Geschlechter für verfassungswidrig erklärte, konnten er in der DDR bis zum Dezember 1991 in Anspruch genommen werden. Mit Wirkung zum 1. Juli 1994 wurde der Haushaltstag dann in allen Bundesländern durch das Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes abgeschafft.

Okay, die Regelung ist natürlich ein toller Bonus für die Teammitglieder, aber wie begegnen sie dem sich daraus ergebenden organisatorischen Mehraufwand?

Eine Zahnarztpraxis ist ohnehin mit einem enormen organisatorischen Aufwand verbunden. Viele meiner Kollegen/innen haben monatliche Teambesprechungen, teilweise sogar wöchentlich. Wir nutzen einen sogenannten Re-Orga-Day, der alle drei bis sechs Monate stattfindet. Dort wird alles besprochen – wozu einem im Alltag die Zeit fehlt. Ziel ist die Steigerung der Produktivität und Effektivität.

Die Mitarbeitenden, denen ein Haushaltstag zusteht, sollen sich vorher Gedanken machen, an welchen Tagen es möglich ist, und einen Vorschlag unterbreiten. Es geht ja nicht um zwölf weitere Urlaubstage, wie man vielleicht denkt, sondern nur um Monate, in denen weder Urlaub oder Brückentage geplant sind. Da es in meiner Praxis nur um Vollzeitarbeitende geht, ist der organisatorische Aufwand nicht sehr hoch. Mir ist vor allem wichtig, dass mein täglicher Workflow nicht behindert wird durch das Fehlen einer Angestellten.

Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ein Haushaltstag die Produktivität steigert, da die Motivation steigt und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden gefördert wird. Übrigens darf der Haushaltstag natürlich auch ausgesetzt werden, wenn der Mitarbeitende ihn nicht benötigt, aber es bedeutet auch, dass der Tag bei Nichtinanspruchnahme verfällt. Das bedeutet, ein Haushaltstag wird weder angespart noch ausgezahlt.

„Ich glaube, dass ein Haushaltstag die Produktivität steigert, da die Motivation steigt und die Selbstorganisation der Mitarbeitenden gefördert wird.“

Dr. Manina Knobloch

Welche Effekte beobachten Sie auf den Arbeitsmarkt?

Der Mitarbeitermangel ist ein Zustand, den viele Kolleginnen und Kollegen kennen. Bislang war ich nicht davon betroffen, da wir ein kleines und sehr stabiles Team sind. Das änderte sich leider durch langwierige Krankheiten von drei Mitarbeiterinnen. Ich habe selbstverständlich auf der Jobbörse der KZV inseriert. Dort habe ich aber nur sehr wenig Resonanz erfahren. Da unsere Praxis sehr aktiv auf den sozialen Medien wie Instagram ist, kann ich sagen, dass hier schon deutlich mehr Bewegung ist. Es haben sich tatsächlich daraufhin mehrere Bewerber vorgestellt.

Kam es zum Vetragsabschluss?

Ja, tatsächlich. Ich habe einen 34-jährigen Künstler (Musik und Fotografie) als Quereinsteiger eingestellt. Er arbeitet aktuell in Teilzeit, weil er sich weiter seiner Kunst widmen möchte – hat aber das Ziel, die Ausbildung in zwei Jahren zu machen und dann die Prüfung zum ZFA. Er ist hochmotiviert.

Wie sahen die Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen aus?

Als ich das erste Mal auf Instagram öffentlich über die Idee des Haushaltstages berichtete, haben mir so viele Menschen geschrieben wie noch nie, darunter sehr viele Kollegen, aber auch fachfremde Unternehmerinnen wie zum Beispiel Friseurinnen und Kosmetikerinnen. Es scheint also ein Thema zu sein, was viele Unternehmen interessiert. Natürlich gab es auch Kritik, etwa den Vorwurf, ich würde mit der Maßnahme – vor allem aber mit dem Hinweis darauf – Potsdamer Kolleginnen und Kollegen Personal abwerben wollen. Wie schon beschrieben, war und ist das überhaupt nicht mein Ziel.

Ohnehin arbeitet ja aktuell nur eine Ihrer Angestellten in Vollzeit, kommt also in den Genuss der Haushaltstage. Die übrigen arbeiten Teilzeit. Welche Arbeitszeitmodelle gibt es bei Ihnen und wie organisieren Sie das?

Ich würde fast sagen, dass alle Modelle in der Praxis integriert sind: Eine Mitarbeiterin arbeitet auf Minijob-Basis, mehrere Teilzeit in einer 4-Tage-Woche, zwei im Wochenwechsel an unterschiedlichen Tagen, eine Mitarbeiterin 35 Stunden an fünf Tagen – und ich 37 Stunden an fünf Tagen.

Ich bin nicht sehr begeistert von Schichtdiensten und sich ständig ändernden Arbeitsplänen. Das macht es sehr kompliziert für mich. Wir versuchen, dass jeder seine exakten und planbaren Arbeitszeiten hat. Das ist auch mit der digitalen Zeiterfassung wichtig, damit es nicht zu einem riesigen Chaos kommt. Arbeitszeitänderungen die längerfristig sind, müssen natürlich exakt abgesprochen werden – das ist ja klar.

Eine Pilotstudie in Großbritannien sieht positive Effekte einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich – gesundheitliche bei den Belegschaften und wirtschaftliche für die Arbeitgeber. Was sagen Sie dazu?

Das Projekt Haushaltstag ist noch ganz frisch und noch keine zwei Monate alt. Ich kann weder von positiven noch von negativen Effekten berichten. Aber ich kann mir absolut vorstellen, dass es viele positive Effekte hat: Zum einen glaube ich, dass die Motivation gesteigert wird und für die Organisation von Familien ein riesiger Vorteil entsteht. Durch eine gute Organisation innerhalb der Familien und durch steigende Motivation sind die Mitarbeiter produktiver und bringen viel wertvolle Energie mit in ein Unternehmen. Sie können mich ja nochmal in einem Jahr befragen, dann kann ich Ihnen sicher mehr erzählen.

Ihr „Haushaltstag“ nimmt ja Bezug auf eine 1939 in Deutschland ein- und 1952 in der DDR weitergeführte Regelung. Nach der Wiedervereinigung wurde sie zum 1. Juli 1994 durch das Arbeitszeitgesetz dann abgeschafft. Ist der Arbeitsmarkt reif für eine Wiedereinführung?

Einige Aspekte, die der „Westen“ stark kritisierte, sind heute zur Normalität geworden, etwa der Anspruch aller Arbeitenden auf einen Kita-Platz. Warum kann man nicht auch noch einmal darüber nachdenken, Vollzeitbeschäftigten einen monatlichen Haushaltstag zu gewähren? Es käme Familien auf jeden Fall sehr zugute. Ich finde diese Idee interessanter, effektiver und eher umsetzbar als eine 4-Tage-Arbeitswoche.

Das Gespräch führte Marius Gießmann.

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