5 Geheimtipps gegen Krebs
Ein Beispiel: Die Münchnerin Alina Walbrun betreibt neben ihrem Medizinstudium einen Instagram-Kanal mit 310.000 Followern und trägt selbstbewusst den Reichweite und damit Umsatz steigernden Beinamen „Doc Alina“ in ihrem Profil. Die junge Frau wirbt für „cleane Produkte“ des drittgrößten Drogeriekonzerns der Welt.
Mal erklärt „Doc Alina” ihrem Gefolge, warum Bitterstofftropfen vor den Mahlzeiten den Vagusnerv stimulieren sollen, wodurch sich angeblich der Speichelfluss, die Magensäureproduktion, die Gallensekretion und die Peristaltik im Dünndarm verbessern. Ein anderes Mal erklärt sie, warum auch Nicht-Diabetiker von Blutzucker-Messgeräten profitieren, die sie dauerhaft als Sensor am Arm tragen.
Die Gesundheitskompetenz in Deutschland sinkt
Die im April 2025 herausgegebene, überarbeitete Fassung der Studie „Gesundheitskompetenz in Deutschland 2024“ zeigt eine alarmierende Entwicklung: Mehr als drei Viertel der Bevölkerung (75,8 Prozent) weisen demnach eine geringe Gesundheitskompetenz auf. Rund 60 von 100 Deutschen tun sich schwer, Informationen richtig einzuschätzen. Fast jede und jeder Zweite ist sich unsicher, wie man Werbung von redaktionellen Inhalten unterscheidet. Im Vergleich zu früheren Studien ist das eine deutliche Verschlechterung: Im Jahr 2014 hatten noch 54 von 100 Menschen eine niedrige Gesundheitskompetenz, 2020 waren es schon 64 von 100 Menschen.
Das Projekt „Faktencheck Gesundheitswerbung“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen will Abhilfe schaffen. Es klärt über irreführende oder unzulässige Gesundheits- und Produktinformationen sowie Werbung im Internet auf. Die Verbraucherschützer verfolgen zudem unlauteres Wettbewerbsverhalten im Gesundheitsbereich und mahnen Anbieter, Hersteller und Influencer bei rechtlichen Verstößen ab. Verbraucher können dazu fragwürdige, schlechte oder gefährliche Gesundheitsinformationen über ein Kontaktformular melden, wenn sie vermeintlich kritische Beiträge in den Sozialen Medien gefunden haben.
David Reckers, zugelassener Allgemeinmediziner und Betreiber des Kanals „Der Hausarzt“, bietet ebenfalls professionell produzierte Videos zu Gesundheitsthemen im Netz an. Ein Video, in dem er über die seltene Autoimmunerkrankung primäre biliäre Cholangitis (PBC) spricht, erregte die Aufmerksamkeit des „Magazin Royale“ vom ZDF.
Das in einem Krankenhaus gedrehte Video wurde als bezahlte Partnerschaft mit Ipsen Pharma gekennzeichnet. Kurz gesagt: Reckers bereichert sich im berufsrechtlichen Graubereich, um für Ipsen den Markt für ein neues Medikament zu bereiten. Seit Beginn der 2020er-Jahre ist das sogenannte „Disease-Awareness“, also Werbung zur Schaffung eines Krankheitsbewusstseins durch Influencer, ein etabliertes Marketingtool von Pharmaunternehmen (zm berichtete in „Können diese Augen lügen?“, zm 20/2022).
Andere Medfluencer wiederum nutzen ihre Reichweite, um Werbung für zweifelhafte Produkte zu machen oder krude „Wahrheiten” zu verbreiten. Das reicht von Nahrungsergänzungsmitteln zur Zellerneuerung und Geruchstraining bis zur Behauptung, nicht UV-Strahlung, sondern Sonnencreme sei schädlich. Besonders gefährlich wird es immer dann, wenn Patienten geraten wird, Medikamente abzusetzen oder Arztbesuche zu unterlassen, weil eine neue alternative Behandlungsmethode eine schnelle Wunderheilung verspricht. Das wurde auf der der größten Krebskonferenz der Welt Anfang Juni deutlich.
Krude „Wahrheiten” verunsichern Krebspatienten
Auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago zeigten sich die Verantwortlichen besorgt, dass sie „die Schlacht um die Kommunikation verlieren“. Ärztinnen und Ärzte erklärten, dass zunehmend Krebspatienten sterben würden, weil sie vermeintlichen Heilmethoden wie intermittierendem Fasten, ätherischen Ölen, Sauerstoffbehandlungen und mediterraner Ernährung den Vorzug geben und konventionelle Methoden ablehnen.
Vergleichbare Trends seien auch in Großbritannien zu beobachten, warnte Prof. Sir Stephen Powis, Nationaler medizinischer Direktor des National Health Service (NHS). Er berichtet vor einem „alarmierend hohen Maß an Fehlinformationen“, das Menschenleben gefährden könne.
Nach geltendem deutschen Recht ist es zugelassenen Ärztinnen und Ärzten untersagt, für Medikamente zu werben und sie müssen sich an die Vorschriften der Ärztekammer halten. Medizinstudierende bewegen sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone. Dem Betrachter der Videos erklärt sich das nicht. Dank Kasack, lässig übergehängtem Stethoskop und Klinik- oder Praxishintergrund werden die Absender als Ärztinnen und Ärzte wahrgenommen.
Agenturen pushen den Nepp
In Deutschland gibt es laut der Influencer-Agentur Medservation etwa 1.000 aktive Medfluencer, die Unternehmen gezielt für ihre Werbebotschaften buchen können. Nach eigenen Angaben erreicht Medservation allein jeden Monat mehr als 10 Millionen Menschen mit den von ihr vermittelten Medfluencern. Durch die Kombination von Gesundheit und Entertainment werde auf TikTok, Instagram & Co. eine große Zielgruppe erreicht.
In Italien sorgen sich Ärzte seit geraumer Zeit, dass unqualifizierte Gesundheits-Influencer ein sogenanntes „paralleles Gesundheitssystem“ schaffen könnten. Bereits im September 2023 riefen sie eine Instagram-Kampagne mit dem Slogan „Gesundheit ist zu wichtig, um sie irgendjemandem anzuvertrauen” ins Leben, in der Folgendes hervorgehoben wurde: „Die gefährliche Zunahme von Gurus, Spezialisten, Coaches, Experten und Beratern im Internet, die keine Ausbildung oder keinen Hochschulabschluss im Gesundheitsbereich haben, aber in ihren Biografien Beschreibungen verwenden, die an etwas Medizinisches denken lassen."
Echte Gegenmaßnahmen? Fehlanzeige!
Zur Bekämpfung von Fehlinformationen im Gesundheitsbereich hat in Frankreich der Nationalrat der Ärztekammer (CNOM) Anfang dieses Jahres einen Ethikkodex eingeführt, die „Charta des Arztes, der Online-Inhalte erstellt“. Sie ist jedoch lediglich eine Selbstverpflichtung, die nicht bindender ist als alle bereits vorhandenen Regulierungen des Berufsrechts.
Laut einem Bericht des Politikportals Euractiv will der ungarische Europaabgeordnete András Kulja im Ausschuss für öffentliche Gesundheit weitere Regulierungen vorantreiben. Er sieht eine Chance, „die Gesundheitskompetenz zu verbessern – von den täglichen Gewohnheiten bis hin zu den Gesundheitssystemen – und Fehlinformationen zu bekämpfen“. Sein Ziel sei es, „Menschen zu befähigen, fundierte Entscheidungen zu treffen und vertrauenswürdigen Online-Quellen zu vertrauen.“
Was man dazu noch wissen muss: Der Abgeordnete ist nicht nur Herzchirurg, sondern auch selbst Medfluencer. Vor seiner Wahl ins Europäische Parlament 2024 baute Kulja eine TikTok-Fangemeinde mit 370.000 Followern auf.
In Operationskleidung teilte er medizinische Einblicke und Erklärungen zur menschlichen Anatomie. Mit Disease-Awareness-Kampagnen seiner Kollegen hat er kein Problem. „Das Bewusstsein zu schärfen – insbesondere für seltene Krankheiten – ist äußerst wertvoll“, erklärte er gegenüber Euractiv. Dabei sei er sich der Risiken bewusst: „Gesundheit ist nicht immer Schwarz-Weiß, aber Algorithmen belohnen oft dramatische oder stark vereinfachte Inhalte.“