Interview mit der Zahnärztin Sadra Nadim über ihren Berufsanerkennungsprozess

„Es war, als müssten wir in wenigen Monaten ein fünfjähriges Studium wiederholen“

Direkt nach der Uni in Syrien kam Sadra Nadim vor drei Jahren nach Deutschland. Innerhalb kürzester Zeit durchlief sie den Berufsanerkennungsprozess, erhielt ihre Approbation und arbeitet jetzt als festes Teammitglied in einer Praxis in Rheinland-Pfalz. Ein Musterbeispiel für gelungene Integration? Hier verrät die junge Zahnärztin, wie viel Kraft das gekostet hat.

Frau Nadim, nach ihrem Zahnmedizinstudium in Syrien sind Sie 2022 mit einem Visum nach Deutschland gekommen. Wie haben Sie die Ankunft hier erlebt?

Sadra Nadim: Als ich 2022 nach Deutschland kam, war alles neu für mich. Besonders prägend war die Tatsache, dass ich aus einer Stadt kam, die vom Krieg betroffen war. Dort gab es kaum berufliche Perspektiven und die Zukunft war sehr ungewiss. Der Abschied von meiner Familie war das Schwierigste – vor allem von meiner jüngsten Schwester, die damals erst neun Jahre alt war und eine sehr enge Bindung zu mir hatte. Meine Familie hat mich jedoch in all meinen Plänen unterstützt und mir sehr geholfen, vor allem finanziell. Wir mussten damals ein Sperrkonto eröffnen, das genug Geld für ein Jahr enthielt, damit ich meinen Lebensunterhalt in der Anfangszeit auch ohne Arbeit selbst decken konnte.

Meine Gefühle bei der Ankunft in Deutschland waren dann sehr gemischt: einerseits Angst vor dem Unbekannten, andererseits Vorfreude auf die Zukunft und die neuen Möglichkeiten. Zum Glück bin ich nicht allein gekommen – ich war mit Freunden unterwegs, mit denen ich schon während des Studiums und in unserer Nachbarschaft eng verbunden war. Das hat nicht nur mir, sondern auch meiner Familie ein Stück Sicherheit gegeben.

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Ein eingespieltes Team: Bereits in Syrien hatte Sadra Nadim (Mitte) ein mehrmonatiges Praktikum in einer Zahnarztpraxis absolviert, „aber meine eigentliche Berufserfahrung habe ich hier in der Praxis 'Zahnheilkunde Kirchberg' in Rheinland-Pfalz gesammelt“, berichtet die junge Zahnärztin. „Sie haben mich sehr unterstützt und meine vielen Fragen geduldig beantwortet, sodass ich heute an dem Punkt bin, an dem ich bin.“

Sie sind gut vorbereitet nach Deutschland gekommen, Ihr Zahnmedizinstudium in Syrien war abgeschlossen und Sie haben noch dort begonnen, Deutsch zu lernen. Gemeinsam mit zwei Freundinnen haben sie sogar Unterricht bei einem Privatlehrer genommen. Und dennoch ist der Start in einem fremden Land nicht leicht, oder?

Die größte Schwierigkeit war zunächst die Sprache im Alltag. Obwohl ich schon Grundkenntnisse hatte, war es etwas ganz anderes, sich im echten Leben zu verständigen – vor allem, weil die Alltagssprache sich stark von der Sprache im Unterricht unterscheidet. Auch das deutsche System war für mich völlig neu, insbesondere die Bürokratie und die Vielzahl an Regeln und Abläufen. Dinge wie Versicherungen zum Beispiel – das war für uns völlig ungewohnt, weil es so etwas in Syrien in dieser Form nicht gibt.

Man kommt in ein fremdes Land, in dem wirklich alles anders ist: Kultur, Sprache, Lebensweise. Selbst einfache Dinge wie Einkaufen oder Essen gehen waren anfangs ungewohnt – vieles war neu, fremd oder unbekannt. Jede kleine Aufgabe wurde zu einer neuen Entdeckung und einem Lernprozess für mich. Hinzu kamen emotionale Herausforderungen: das Heimweh, die Entfernung zur Familie und das Gefühl, alles alleine bewältigen zu müssen. Aber ich habe gelernt, Schritt für Schritt mit den Herausforderungen umzugehen und daran zu wachsen.

Was war die größte Herausforderung?

Die deutsche Sprache (lacht) – insbesondere, als es dann um medizinisches Fachvokabular ging. Die Fachsprache ist sehr umfangreich, präzise und verlangt ein hohes Maß an Genauigkeit im Ausdruck. Am Anfang fiel es mir schwer, schnelle Gespräche zu verstehen – besonders, wenn Muttersprachler mit Dialekt oder in hohem Tempo gesprochen haben. Ich hatte oft Angst, Fehler zu machen, vor allem bei medizinischen Begriffen, da solche Fehler schwerwiegende Folgen haben können.

Hinzu kam, dass die Fachsprachprüfung weit mehr erfordert als nur das Auswendiglernen von Vokabeln. Man muss lernen, einen Arztbrief zu schreiben, ein Patientengespräch professionell zu führen und medizinische Sachverhalte korrekt zu erklären – sei es gegenüber Kolleginnen und Kollegen oder gegenüber Patientinnen und Patienten. Durch viel Übung, eine gezielte Vorbereitung und die Unterstützung meiner Lehrerinnen und Lehrer konnte ich diese Herausforderungen Schritt für Schritt bewältigen und ein neues sprachliches Niveau erreichen.

Es gibt bundesweit keine einheitlichen Vorgaben für die Sprach- und die Gleichwertigkeitsprüfungen – jedes Bundesland hat andere Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Fiel Ihre Wahl auf Rheinland-Pfalz zufällig?

Wir haben uns für Rheinland-Pfalz entschieden, weil die Verfahren dort klar und verständlich sind und die Anforderungen nachvollziehbar waren. Außerdem gab es viele Informationen auf offiziellen Webseiten. Auch die Erfahrungen von anderen Kolleginnen und Kollegen, die diesen Weg bereits gegangen sind, haben uns geholfen. Die schwierigste Herausforderung in diesem Bundesland ist, dass es im Vergleich mit anderen Bundesländern weniger Arbeitsmöglichkeiten gibt . Dafür waren die Prüfungen dort etwas angenehmer und die Wartezeiten kürzer.

Zudem gibt es in Kaiserslautern ein Sprachinstitut, das von den meisten syrischen Zahnärztinnen und Zahnärzten besucht wird, um das B2-Niveau zu erreichen. Dieses Institut ist auch bei der Deutschen Botschaft in Beirut anerkannt. Das hat uns sehr geholfen, unsere Sprachkenntnisse schnell zu verbessern und uns gut auf die Prüfungen vorzubereiten.

Im Anschluss haben Sie sich bei mehreren Stellen beworben und eine Arbeitsstelle in der Zahnarztpraxis „Zahnheilkunde Kirchberg“ in Rheinland-Pfalz gefunden, wo Sie bis heute tätig sind. Wie verlief die Integration in die Praxis?

Ich wurde in der Praxis sehr herzlich und freundlich begrüßt. Das Team war äußerst unterstützend und hat mir sehr geholfen, mich an die neue Arbeitsumgebung zu gewöhnen. Am Anfang waren sie besonders geduldig mit mir, vor allem wegen der sprachlichen Unterschiede und der anderen Praxiskultur. Das Praxissystem und der Umgang mit Patientinnen und Patienten unterscheiden sich in Syrien stark von Deutschland.

Sie gaben mir die Möglichkeit, Schritt für Schritt zu lernen, gleichzeitig war ich sofort aktiv eingebunden, und konnte so meine Kompetenzen steigern. Ich hatte das Gefühl, dass sie wirklich daran interessiert sind, mich zu fördern und meinen Erfolg zu unterstützen. Das hat mir sehr geholfen, mich schnell einzuleben und ein wertvolles Mitglied des Teams zu werden. Dr. Eiserloh-Weil und Dr. Tsanopoulus waren immer eine Unterstützung für mich und haben mir viele Dinge beigebracht.

Zunächst konnten Sie dort mit einer Berufserlaubnis für zwei Jahre arbeiten, während Sie sich auf die Approbation vorbereitet haben. Welche Tätigkeiten haben Sie in der Praxis übernommen?

In den ersten Monaten habe ich die Behandlungen der Praxischefin Dr. Eiserloh-Weil begleitet, um von ihr zu lernen und praktische Erfahrungen zu sammeln. Nach und nach durfte ich einfache Behandlungen selbstständig durchführen, zum Beispiel restaurative Maßnahmen und die Extraktion von lockeren Zähnen. Später habe ich mit parodontalen Behandlungen und der Versorgung mit herausnehmbarem Zahnersatz begonnen.

Sie haben alle Prüfungen und Anerkennungsverfahren erfolgreich absolviert und die Approbation erhalten. Wenn Sie zurückblicken: Wie nervenaufreibend war dieser Prozess?

Die Zeit bis zur Approbation war ohne Zweifel sehr schwierig und psychisch belastend. Die Verfahren sind lang und komplex. Für uns Zahnärztinnen und Zahnärzte ist die Kenntnisprüfung in drei Teile gegliedert. Die Menge an Lernstoff war gewaltig – es fühlte sich an, als müssten wir innerhalb weniger Monate den gesamten Inhalt eines fünfjährigen Studiums wiederholen. Ich habe im Juli 2024 mit dem schriftlichen Teil begonnen und ihn erfolgreich bestanden. Danach folgte im Oktober die mündliche. im Februar 2025 die praktische Prüfung.

Vor den Prüfungen habe ich mir regelmäßig ein paar Tage Urlaub genommen, um mich besser konzentrieren zu können und innerlich zur Ruhe zu kommen. Manchmal musste ich auch einen Tag vorher anreisen und ein Hotel buchen, weil die Prüfung bei der Zahnärztekammer in Mainz stattfand, und ich wohne weit entfernt. Trotz aller Schwierigkeiten hatte ich ein klares Ziel vor Augen. Die Unterstützung meiner Familie und Freunde war für mich eine große Hilfe. Mit jedem bestandenen Schritt wurde ich selbstbewusster und entschlossener, meinen Weg weiterzugehen.

Viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland berichten, dass der Berufsanerkennungsprozess sich teilweise über mehrere Jahre hingezogen hat. Bei Ihnen ging es vergleichsweise schnell: Im Juli 2024 haben Sie die Prüfungen abgelegt – schriftlich, mündlich und praktisch – und im Februar 2025 haben Sie die Approbation erhalten. Was haben Sie besser oder anders gemacht?

Von Anfang an hatte ich einen klaren – und realistischen – Plan. Ich wusste genau, welche Schritte auf mich zukommen. Noch bevor ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich mit dem Erlernen der Sprache begonnen. Nach meiner Ankunft habe ich direkt mit dem nächsten Sprachniveau weitergemacht und mich intensiv mit dem Thema Anerkennung beschäftigt – immer auf Basis offizieller Quellen, um keine Zeit zu verlieren.

Anschließend habe ich sofort einen Termin für die Fachsprachprüfung beantragt und diese bereits im Oktober 2022 abgelegt. Danach wurde ich auf die Warteliste für die Kenntnisprüfung gesetzt. Den ersten verfügbaren Prüfungstermin – für den schriftlichen Teil – habe ich dann etwa eineinhalb Jahre später bekommen, im Juli 2024. Das liegt im normalen Rahmen, denn die Wartezeiten für die Prüfungen in Rheinland-Pfalz betragen in der Regel zwischen zwei und vier Jahren. In der Zwischenzeit habe ich jedoch nicht gewartet, sondern viele Bewerbungen verschickt und schließlich meine derzeitige Stelle in der Zahnarztpraxis gefunden, in der ich heute noch tätig bin.

Wo funktioniert Integration? Wo nicht?

Integration funktioniert dort gut, wo echte Teilhabe möglich ist – sei es im Arbeitsleben, in der Nachbarschaft oder im Bildungssystem. Wenn man respektiert und offen aufgenommen wird, entsteht das Gefühl, wirklich dazuzugehören.

In meinem Fall hat Integration besonders gut funktioniert, weil ich in einem unterstützenden Team arbeiten durfte, das mir auf Augenhöhe begegnet ist. Auch der Kontakt zu Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen – sowohl Deutschen als auch anderen Migrantinnen – hat mir geholfen, die Gesellschaft besser zu verstehen.

Schwieriger wird Integration dort, wo es strukturelle Hürden gibt: zum Beispiel Vorurteile, fehlende Jobchancen oder komplizierte bürokratische Prozesse. Auch die Sprache bleibt eine große Herausforderung – besonders am Anfang. Ohne ausreichende Unterstützung kann sich Integration dadurch stark verzögern.

An welche Situation denken Sie besonders gerne zurück?

Ich erinnere mich gerne daran, dass ich alle Prüfungen beim ersten Versuch bestanden habe. Das gab mir das Gefühl, dass ich fähig bin, mich weiterzuentwickeln und noch viel erreichen kann. Es hat mir gezeigt, dass ich meine Fähigkeiten nicht unterschätzen darf. Auch an den Moment, als ich meinen ersten Patienten ganz allein behandeln durfte. Es war nur eine kleine Füllung, aber mein Team hat mir vertraut. Der Patient war freundlich und dankbar – das hat mir viel Selbstvertrauen gegeben und gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Integration funktioniert dort gut, wo echte Teilhabe möglich ist – sei es im Arbeitsleben, in der Nachbarschaft oder im Bildungssystem. Wenn man respektiert und offen aufgenommen wird.

Wo hätten Sie sich vielleicht mehr Hilfe gewünscht?

Ohne meine Familie in Deutschland zu sein, war anfangs sehr schwierig – und manchmal auch einsam. Trotzdem habe ich hier viele neue Menschen kennengelernt, die mir das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Deutschland bietet mir viele Chancen, und ich versuche, diese positiv zu nutzen und mich gut zu integrieren. Ich denke auch, dass ich diese Erfahrungen nicht gemacht hätte, wenn ich nicht ausgewandert wäre. Wenn man seine Komfortzone verlässt und Neues ausprobiert, wird die Persönlichkeit viel stärker.

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Sadra Nadim mit Praxischefin Dr. Eiserloh-Weil ...

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und Praxischef Dr. Kleanthis Tsanopoulos (l.): „Meine Chefin und mein Chef haben mich am Anfang sehr unterstützt. Sie waren geduldig mit mir, besonders wenn es um die Sprachbarriere und die neuen Abläufe ging“, berichtet Nadim. „Auch heute habe ich noch viele Fragen und zögere nie, diese mit ihnen zu besprechen. Das macht für mich den großen Unterschied aus, denn durch ihre Geduld und Offenheit kann ich mich immer weiter verbessern.“

Wie erleben Sie Deutschland?

Ich würde sagen, meine größte Herausforderung war, dass ich ein Kopftuch trage. Viele Zahnärztinnen empfinden das leider als Hindernis und glauben, dass sie so nicht arbeiten können oder dass sie nicht akzeptiert werden. Aber bei mir war es genau das Gegenteil: Solange ich passende Kleidung für die Arbeit getragen habe, gab es überhaupt kein Problem. Das Team in der Praxis hat mich so akzeptiert, wie ich bin – auch die Patientinnen und Patienten waren sehr freundlich und offen.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann eine eigene Praxis hier zu betreiben?

Ja, ich kann mir gut vorstellen, in der Zukunft eine eigene Praxis hier in Deutschland zu eröffnen. Das wäre ein großer Schritt und eine spannende Herausforderung. Aber ich möchte erst noch mehr Erfahrungen sammeln und mich weiterentwickeln. Aber langfristig ist es auf jeden Fall mein Ziel.

Am Ende möchte ich allen, die wie ich sind, sagen: Nichts ist unmöglich, und Träume werden mit viel Einsatz und Mühe Wirklichkeit. Es ist ganz normal, am Anfang Angst zu haben und vieles fremd und schwierig zu finden. Wir müssen auf uns selbst vertrauen, um eine bessere Zukunft für uns und unsere Familien zu schaffen.

Das Interview führte Navina Bengs.

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