Gesundheitssysteme weltweit unter Druck – kann Prävention eine Lösung sein?
Das deutsche Gesundheitssystem steht unter wachsendem Druck. Demografischer Wandel, steigende Kosten, Fachkräftemangel und wachsende bürokratische Anforderungen belasten insbesondere die ambulante Versorgung – gerade auch in den Zahnarztpraxen. Immer öfter droht der direkte, persönliche Kontakt zwischen Zahnärztinnen und Zahnärzten mit ihren Patientinnen und Patienten dem Systemstress zum Opfer zu fallen.
Der Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass wir nicht allein sind. Überall in Europa und darüber hinaus in vielen Teilen der Welt sind die Probleme sehr ähnlich. Europäisch und international wird daher nach Wegen gesucht, um effiziente und patientenorientierte Gesundheitssysteme dauerhaft sicherzustellen.
Solche Lösungen müssen in erster Linie vor Ort auf nationaler Ebene gefunden werden, aber auch die Europäische Union sollte im Rahmen ihrer Kompetenzen in die Verantwortung genommen werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist der von der neuen EU-Kommission angekündigte Abbau übermäßiger EU-Bürokratie. Diesem Versprechen müssen jetzt Taten folgen. Gerade Regelungen, die Praxisabläufe unverhältnismäßig beeinträchtigen, ohne einen belegbaren Nutzen für die Qualität oder die Sicherheit der Versorgung zu bieten, müssen abgeschafft werden. Gleichzeitig bietet die EU die einmalige Chance, einen Systemvergleich zu wagen. Es gilt, unterschiedliche Lösungsansätze zu vergleichen und voneinander zu lernen.
Zugleich liegt in der konsequenten Stärkung der Prävention ein weiterer Schlüssel zur Entlastung unserer Gesundheitssysteme. Die deutsche Zahnärzteschaft kann hier einen wertvollen Beitrag leisten: Sie verfügt über jahrzehntelange Erfahrungen im präventiven Bereich, die sich in konkreten Erfolgen niederschlagen. Oder, um es salopp zu sagen: Wir sind deutscher Meister in Sachen Prävention.
So belegt die aktuelle Sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS • 6) eindrucksvoll die Verbesserungen der oralen Gesundheit in nahezu allen Bevölkerungsgruppen. Ein Beispiel: 1997 fehlten jüngeren Seniorinnen und Senioren noch 17,6 Zähne, heute sind es 8,6 – ein Rückgang um die Hälfte. Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung der völligen Zahnlosigkeit, die bis ins hohe Erwachsenenalter in Deutschland praktisch kaum noch vorkommt. Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts war etwa ein Viertel bis ein Fünftel der Seniorinnen und Senioren zahnlos. Diese evidenzbasierte Expertise sollte systematisch in die europäische Gesundheitspolitik eingebracht werden – zum Nutzen aller Mitgliedstaaten.
Jetzt ist der Zeitpunkt. Prävention ist auf europäischer Ebene aktuell in den gesundheitspolitischen Fokus gerückt. Das zeigt der Blick in den sogenannten „Mission Letter“, in dem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem neuen Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi im Herbst 2024 einen klaren Auftrag für die kommenden Jahre gegeben hat. Várhelyi muss die Arbeit der EU-Kommission im Bereich der Gesundheitsprävention verstärken und einen umfassenden Ansatz zur Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention über den gesamten Lebensverlauf hinweg sicherstellen, nicht zuletzt, um die Gesundheitssysteme zu entlasten.
Diese europäische Präventions-Perspektive korrespondiert ebenfalls mit den gesundheitspolitischen Zielen der neuen Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag gibt es ein eigenes Unterkapitel zum Thema Prävention. Zudem möchte die Bundesregierung ihr Engagement auf internationaler Ebene unter dem Schlagwort „Globale Gesundheitspolitik“ intensivieren. Hier dürfte das Thema Präventionsförderung eine wichtige Rolle spielen.
Die BZÄK macht die Zusammenhänge zwischen den wachsenden Herausforderungen an die Gesundheitssysteme vor dem europäischen und internationalen Hintergrund zum Thema des diesjährigen Europatages Mitte Juli in Brüssel. Ein gemeinsames europäisches Verständnis für den präventiven Ansatz bietet die Chance, Synergien zwischen nationaler und europäischer Gesundheitspolitik zu schaffen – und langfristig eine nachhaltige, ressourcenschonende und gerechte Versorgung sicherzustellen. Deutschland kann und sollte mit seiner präventionsorientierten Zahnmedizin Vorreiter sein – und in diesem Sinne dabei helfen, die europäische wie die globale Gesundheitspolitik aktiv mitzugestalten.
Dr. Romy Ermler
Vizepräsidentin der Bundeszahnärztekammer
Konstantin von Laffert
Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer