„Das, was gerade passiert, ist bereits ein erster Worst Case“
Die neue Datenbank von ZB MED soll einen möglichst nahtlosen Ersatz bieten im Fall von Einschränkungen in der Verfügbarkeit von PubMed. Auch soll die gewohnte Suchoberfläche von PubMed so weit wie möglich nachgebildet werden. Ein ziemlich großes Projekt, das sich hinter „OLSPub – Open Life Science Publications Database“ verbirgt, oder?
Dr. Miriam Albers: Das stimmt! Und das Projekt OLSPub steht auch noch am Anfang. Nach 18 Monaten planen wir, die Suchoberfläche zur Verfügung stellen zu können, über die zum einen die bis zu einer (möglichen) Einschränkung von PubMed zugänglichen PubMed-Daten, zum anderen neue Daten aller Zeitschriften, die aktuell in der Datenbank MEDLINE – als Hauptbestandteil von PubMed – vorhanden sind. Dazu sollen die Artikel auch mit den Medical Subject Headings (MeSH), also standardisierten Schlagwörtern, versehen sein. PubMed vereint noch viele andere Quellen wie das Open-Access-Repositorium PubMed Central (PMC) oder sogenannte Out-of-Scope-Artikel. Diese werden wir dann erst in einem nächsten Schritt versuchen nachzubilden, wenn dies überhaupt erforderlich sein sollte.
Wichtigster Punkt des Projekts ist, dass alles, was wir tun, Open Source sein wird und die Community eine große Rolle spielen wird. Das heißt, wir werden gemeinsam mit der Community entwickeln, bereits bestehende Lösungen berücksichtigen und zusammen die nächsten Schritte planen. Gemeinsam auf vielen Schultern wird das Projekt damit schaffbar.
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Prof. Dr. Konrad Förstner leitet den Programmbereich Data Science and Services der ZB MED.
Was ist das Ziel von OLSPub?
Prof. Dr. Konrad Förstner: Unser Ziel ist es, – so schnell wie möglich – eine Verbesserung der Resilienz der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Forschung durch die Bereitstellung eines Zugangs zu einer stabilen und zuverlässigen (Open-Source-)Alternative von PubMed zu erreichen. Wir generieren sozusagen eine Versicherung, dass keine Lücke entsteht, sollte diese Ressource nicht mehr verfügbar sein.
Crossref stellt bereits einige Metadaten bereit, allerdings fehlen dort beispielsweise Abstracts. Um diese Daten zu bekommen, müssen Sie sich an die Verlage wenden. Wie ist die Kooperationsbereitschaft der Verlage?
Albers: Die Kooperationsbereitschaft ist grundsätzlich vorhanden, jedoch im Detail natürlich unterschiedlich ausgeprägt. Sehr positiv verläuft die Zusammenarbeit mit Open-Access-Verlagen. Hier ist vor allem Frontiers hervorzuheben, die sich auch politisch für das Projekt einsetzen. Besonders gefreut hat uns der Letter of Support des großen deutschen Wissenschaftsverlags Springer Nature. Das ist wirklich ein tolles Commitment.
Viele andere Verlage haben uns rückgemeldet, dass sie abwarten, ob wir mit unserem Projekt eine Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, kurz DFG, erreichen. Danach wären weitere Gespräche gerne möglich. Grundsätzlich haben die Verlage aber ein großes Interesse daran, bei Initiativen wie OLSPub vertreten zu sein. Denn das ermöglicht es ihnen, ihre eigenen Produkte zu geringen Kosten zu vermarkten.
Warum ein neues System, warum werden nicht bestehende Systeme wie Europe PMC oder OpenAlex genutzt?
Albers: Wie viele andere auch bauen Europe PMC und OpenAlex auf den Daten von PubMed auf und sind auf die Verfügbarkeit dieser Daten angewiesen – das gilt auch für unseren Discovery Service LIVIVO. PubMed ist die einzige Quelle und somit der Single-Point-of-Failure!
Zudem stehen diese Systeme leider nicht Open Source zur Verfügung. Mit EMBL-EBI als Betreiber von Europe PMC stehen wir in regelmäßigem Kontakt und sie unterstützten OLSPub auch durch einen Letter of Support. Eine Zusammenarbeit ist aufgrund der offenen Struktur unseres Projektplans zu jedem Zeitpunkt sehr gerne möglich. Der Mehraufwand für eine Open-Source-Lösung muss natürlich auch durch einen Austausch mit der Community abgestimmt werden. Dieser Mehraufwand wird von anderen Anbietern anscheinend gescheut.
Global gesammelte Erkenntnisse aus der Gesundheitsforschung, Daten, Studien und Publikationen sind in Gefahr. Welche Unterstützung erhalten Sie von der Politik?
Förstner: Bislang leider keine. Die Politik hat die Problematik erkannt, aber bislang noch keine Vorschläge für Maßnahmen oder für Handlungsalternativen gemacht. Wir sind hier natürlich offen für Gespräche und würden uns für Medizin und Lebenswissenschaften natürlich in der Pflicht sehen, um Daten und Studien zu sichern.
LIVIVO ist ein Service der ZB MED und enthält bereits jetzt die Daten von PubMed. Wie wird mit LIVIVO verfahren – läuft es parallel oder wird es integriert?
Förstner: LIVIVO hat einen anderen Fokus als PubMed. LIVIVO enthält als Portal, das auf die deutschen Lebenswissenschaften fokussiert ist, auch deutsche Publikationen, agrar-, ernährungs- und umweltwissenschaftliche Literatur und natürlich alle Medien, die ZB MED selber besitzt. LIVIVO läuft daher parallel. Möglicherweise werden die Systeme zu einem späteren Zeitpunkt integriert, in etwa zwei bis fünf Jahren. Aber auch dann wird eine reine OLSPub-Variante immer verfügbar sein.
Ansonsten ist es ein großer Vorteil, dass wir für LIVIVO bereits Techniken entwickelt haben, die für OLSPub nachgenutzt werden können. Weiterhin betreiben wir in genau diesen Bereichen Forschung, die sich natürlich sowohl auf LIVIVO als auch auf OLSPub auswirken wird. Gerade im Bereich der Nutzung der MeSH-Begriffe haben wir langjährige Erfahrung.
Wie erfolgt die Auswahl der zu indexierenden Zeitschriften?
Albers: Uns geht es um eine Open-Source-Kopie von PubMed. Das heißt, zunächst werden in der Projektlaufzeit nur die Titel ausgewählt, die aktuell auch Teil der Datenbank MEDLINE sind. Wir werden während der Laufzeit des Projekts aber ein Editorial Board aufbauen, das – für den Fall, dass PubMed eingeschränkt werden sollte – auch über die Indexierung neuer Journals entscheidet. Bis dahin laufen die Systeme aber parallel. Übrigens ist so eine parallele Haltung von kritischen Systemen in den Lebenswissenschaften üblich, zum Beispiel bei Genom-Datenbanken. Nur bei Literaturdatenbanken schien es bislang nicht erforderlich.
In anderen Bereichen wie zum Beispiel bei unserer Publikationsplattform German Medical Science arbeiten wir bereits mit Editorial Boards zusammen. Auch haben viele unserer Projekte Scientific Advisory Boards. Solche Strukturen sind notwendig, um langfristig tragfähige Entscheidungen zu fällen.
Werden auch europäische Preprints und Open Peer Reviews in die Datenbank aufgenommen?
Förstner: Zu einem späteren Zeitpunkt ist das geplant – als Ergänzung. Falls PubMed – was wir sehr hoffen – in der aktuellen Qualität erhalten bleibt, würden wir das aufgebaute System gerne nutzen, um zum Beispiel klinische Studien in europäischen Landessprachen zu integrieren. Diese Integration würde immer so umgesetzt, dass zu jedem Zeitpunkt eine reine PubMed-Kopie genutzt werden kann. Obwohl EuropePMC hier das Vorzeigeprojekt ist, gefördert vom European Research Council, planen wir für unser Projekt noch mehr Austausch auf europäischer Ebene, das heißt Kontakte und Zusammenarbeit in die europäischen Communitys und mit europäischen Publishern, eventuell eben auch über Inhalte, die nicht nur in Englisch verfasst sind.
„Die offene Informationsversorgung für die Gesundheitsforschung ist ein sehr wertvolles Gut. Bis Anfang dieses Jahres hätten wir uns nicht träumen lassen, dass dieses Gut einmal gefährdet werden könnte. Diese Gefahr besteht jetzt und wir müssen handeln.“
Prof. Dr. Dietrich Rebholz-Schuhmann, Wissenschaftlicher Direktor von ZB MED
In welchem Zeitrahmen bewegen wir uns? Wann ist mit einer OLSPub-Datenbank zu rechnen?
Förstner: Unser Zeitplan ist in unserem veröffentlichten Projektantrag ersichtlich. Danach planen wir eine erste Version für Testzwecke neun Monate nach Projektstart. Unserer Grundphilosophie für Offenheit und Transparenz folgend, haben wir – unüblicherweise – unseren Projektantrag gleichzeitig mit der Einreichung bei der DFG auf dem offenen Repositorium Zenodo veröffentlicht.
Die Entscheidung zum Projektstart hängt nun von den Gremien der DFG ab. Hier wurde uns zugesagt, dass eine Entscheidung frühestens Ende September und spätestens Ende Dezember getroffen wird.
Sie bereiten sich auf das Worst-Case-Szenario – das Abschalten von PubMed – vor. Für wie realistisch halten Sie dieses Szenario?
Albers: Aus unserer Sicht ist das, was gerade passiert, bereits ein erster Worst Case. Die Medizinerinnen und Mediziner beschäftigen sich damit, nach Alternativen zu PubMed zu suchen, regelmäßig zu überprüfen, ob PubMed noch mit allen Inhalten verfügbar ist und sich über ihre Befürchtungen auszutauschen. Alleine dadurch entsteht wirtschaftlicher und innovativer Schaden. Überlegen Sie sich mal, was da an Zeit zusammenkommt, die sonst für Forschung verwendet werden könnte!
Unabhängig davon leben wir aktuell in einer Welt, in der vorher nicht vorstellbare Szenarien wie Kriege, Umweltkatastrophen, politische Entscheidungen oder Stromausfälle eben passieren. In diesem Umfeld keine Absicherung zu PubMed, als zentrale Datenbank für die Medizin und Lebenswissenschaften, zu haben, ist schlicht fahrlässig.
Das Interview führte Navina Bengs.
Mehr Informationen zum Projekt OLSPub finden Sie unter www.zbmed.de/forschen/laufende-projekte/olspub