Ist Bisphenol A aus Dentalmaterialien ein Gesundheitsrisiko?
Die Studie von Tichy et al. bietet eine interessante Chronologie der BPA-Forschung und fasst die wesentlichen Ergebnisse aus unterschiedlichen Studien zur Freisetzung von BPA aus dentalen Materialien zusammen. Die Autoren beschreiben die diskutierten Gesundheitsrisiken und mögliche Strategien zur Minimierung der Exposition.
Schon 2007 und 2009 hatte eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Olga Polydorou (Freiburg) die Freisetzung von Bisphenol A aus gängigen Kompositmaterialien beschrieben [Polydorou et al., 2007; 2009].Aber wie ist die Freisetzung von BPA aus Füllungsmaterialien einzuordnen und welche Risiken sind damit verbunden?
Gesundheitsrisiken
BPA ist ein endokriner Disruptor, der mit reproduktiven (reduzierte Fruchtbarkeit, Veränderungen der sexuellen Entwicklung, ektopische Schwangerschaften, erhöhtes Risiko für hormonempfindliche Krebsarten), entwicklungsbedingten (niedriges Geburtsgewicht, neurologische Entwicklungsstörungen wie erhöhte Angst und verändertes Sozialverhalten, potenzielle Entwicklungsprobleme bei Kindern und Föten) und metabolischen Störungen (Förderung von Fettbildung und Differenzierung von Fibroblasten zu Adipozyten, erhöhte Insulinresistenz und Beitrag zu Typ-2-Diabetes, Störung der Schilddrüsenhormon-Homöostase) in Verbindung gebracht wird. Außerdem werden immunologische Effekte (Modulation des Immunsystems, einschließlich der Förderung von entzündlichen Th17-Lymphozyten) beschrieben.
Zudem zeigt BPA zeigt eine nichtmonotone Dosis-Wirkungs-Beziehung, bei der niedrige Dosen biologische Effekte hervorrufen können, die bei höheren Dosen nicht auftreten. Besonders gefährdet sind vulnerable Gruppen wie Föten, Säuglinge und Kinder, da selbst geringe hormonelle Schwankungen während kritischer Entwicklungsphasen langfristige physiologische Veränderungen hervorrufen.
Regulierung
BPA wird seit nunmehr über 20 Jahren weltweit zunehmend reguliert. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit riet 2023 zu einer täglich tolerierbaren Aufnahmemenge von höchstens 0,2 ng/kg Körpergewicht. Allerdings basierte diese Empfehlung nicht auf Studien zur Toxizität von BPA beim Menschen.
Dennoch übernahm die Europäische Kommission 2024 die Empfehlung und verbot die Verwendung von BPA für Materialien, die mit Nahrungsmitteln in Kontakt kommen. Obwohl die Freisetzung von BPA aus dentalen Materialien im Vergleich zu anderen Quellen (etwa Lebensmittelverpackungen) gering ist, sollte sie nicht vernachlässigt werden. Strengere Kontrollen könnten auch für dentale Materialien folgen.
Vorkommen in dentalen Materialien
BPA findet sich in harzbasierten Kompositen, Adhäsivsystemen, Hybrid-Glasionomerzementen und harzbasierten Versiegelungen, aber auch in kieferorthopädischen Materialien wie Alignern oder in Polycarbonaten, die als Alternative zu Polymethylmethacrylat für provisorische Kronen und Schienen dienen. Dabei hängt die BPA-Freisetzung von der Materialzusammensetzung, der Qualität der Polymerisation und den intraoralen Bedingungen ab.
Organische Medien fördern die Freisetzung stärker als wässrige Lösungen. In-vitro-Studien zeigen, dass BPA in geringen Mengen freigesetzt wird, wobei die Freisetzung mit der Zeit abnimmt. In-vivo-Studien bestätigen vorübergehende Erhöhungen von BPA in Körperflüssigkeiten nach der Anwendung von dentalen Materialien, jedoch kehren die Werte meist innerhalb von 24 Stunden zurück.
Minimierung der Exposition
Es gibt mehrere Ansätze und Alternativen, um BPA in zahnmedizinischen Materialien zu ersetzen oder dessen Freisetzung zu minimieren. Hersteller haben Produkte entwickelt, die als „BPA-frei“ gekennzeichnet sind. Diese enthalten keine BPA-abgeleiteten Monomere wie Bis-GMA oder Bis-DMA und zeigen eine deutlich geringere BPA-Freisetzung.
Ein weiterer Ansatz ist die Verwendung von Ormoceren(organisch modifizierte Keramiken). Das sind Materialien mit einer völlig anderen Monomerstruktur. Sie bestehen aus Siliciumdioxid-Domänen, die mit polymerisierbaren (Meth)acrylat-Gruppen verbunden sind. Sie wurden entwickelt, um Polymerisationsschrumpfungen zu reduzieren und gelten als vielversprechende Alternative für die Entwicklung neuer Monomere, die BPA ersetzen können, ohne die mechanischen und die chemischen Eigenschaften der Materialien zu beeinträchtigen.
Auch der Einsatz klinischer Techniken wie die Verwendung von Glycerin-Gel zur Reduktion der Sauerstoff-inhibierten Schicht können die Freisetzung von Monomeren, die zu BPA abgebaut werden könnten, minimieren.Zudem spielt dieOptimierung der Polymerisation durch geeignete Lichtquellen, eine ausreichende Belichtungsdauer und die korrekte Anwendung eine wichtige Rolle. Damit kann die Menge an verbleibenden Monomeren, die zu BPA abgebaut werden könnten, reduziert werden.
Polycarbonate haben den Autoren zufolge den höchsten BPA-Gehalt, da sie durch die Polymerisation von BPA und Phosgen synthetisiert werden. Deshalb kann der Ersatz von Polycarbonaten durch andere Materialien für Provisorien, Schienen oder Kronen die BPA-Exposition vermeiden. Diese Alternativen und Strategien sind besonders wichtig für Risikogruppen wie Kinder und Schwangere, bei denen die Exposition gegenüber BPA minimiert werden sollte.
Fazit
Die Freisetzung von BPA aus dentalen Materialien ist gering und die Interpretation der bislang publizierten Ergebnisse ist schwierig, weil die angewandten Methoden sehr heterogen sind. Andererseits ist sie aufgrund der potenziellen Gesundheitsrisiken und der nichtlinearen Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht unbedeutend.
Es ist davon auszugehen, dass es möglicherweise wie beim Amalgam in der Öffentlichkeit zu nicht immer wissenschaftlich fundierten Diskussionen kommen wird. Zahnärztinnen und Zahnärzte sollten daher informierte Entscheidungen treffen und bewährte klinische Praktiken anwenden, um die Exposition zu minimieren. Zukünftige Forschung und Innovationen sind entscheidend, um sicherere Materialien zu entwickeln.
Studie:
Tichy A, Srolerova T, Schwendicke F: Release of Bisphenol A from Dental Materials: Risks and Future Perspectives. J Dent Res. 2025 Sep;104 (10):1051-1060. doi: 10.1177/00220345251337728. Epub 2025 Jun 16. PMID: 40524375; PMCID: PMC12301515.
Literaturliste
Polydorou O, Trittler R, Hellwig E, Kümmerer K. Elution of monomers from two conventional dental composite materials. Dent Mater. 2007 Dec;23(12):1535-41. doi: 10.1016/j.dental.2006.12.011. Epub 2007 Apr 3. PMID: 17408734.
Polydorou O, König A, Hellwig E, Kümmerer K. Long-term release of monomers from modern dental-composite materials. Eur J Oral Sci. 2009 Feb;117(1):68-75. doi: 10.1111/j.1600-0722.2008.00594.x. PMID: 19196321.
Olga Polydorou: Detection of Bisphenol A in dental wastewater after grinding of dental resin composites (Dent Mater.: 1009-1018, 2020).
C Reidelbach et al.: Cytotoxicity and estrogenicity in simulated dental wastewater after grinding of resin-based materials (Dent Mater.: 1486-1497, 2021).