Gesetz soll Kassenwucher beenden
In der gesetzlichen Krankenversicherung sollen Wucherzinsen von bis zu 60 Prozent im Jahr abgeschafft werden, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag) schreibt. Damit wolle die Bundesregierung "Hunderttausenden säumigen Beitragszahlern in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung aus der Schuldenfalle helfen." Für Privatversicherte sei ein preiswerter Notlagentarif in Planung, der nach Branchenschätzungen nicht mehr als 100 Euro im Monat kosten solle.
Das gehe aus einem Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums hervor, schreibt die Zeitung, der derzeit in den Ressorts abgestimmt werde und noch vor der Wahl im September verabschiedet werden solle. Verbandsvertreter von gesetzlichen und privaten Krankenkassen begrüßten das Vorhaben.
Allein in den gesetzlichen Krankenkassen stünden Beiträge in Höhe von 4,5 Milliarden Euro aus. Selbstständige, oft junge Leute, die ein eigenes Geschäft gegründet und sich dabei finanziell übernommen haben, machten auch in der privaten Krankenversicherung den Großteil der Nichtzahler aus, heißt es. Der schnelle Anstieg der Verbindlichkeiten solle in der gesetzlichen Versicherung nun dadurch verhindert werden, dass der monatliche Säumniszuschlag von 5 auf 1 Prozent gesenkt wird.
Lanz: "Verhältnisse werden gradegerückt"
Krankenversicherer und -kassen lobten Bahr für sein Vorhaben. Der Direktor des PKV-Verbands, Volker Leienbach, sagte der "FAZ", endlich liege ein Gesetz vor, das hochverschuldeten Versicherten helfe. Der Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung, Florin Lanz, sagte, es sei gut, dass die Kassen nicht mehr gezwungen seien, extrem hohe Zinsen zu verlangen. "Hier werden die Verhältnisse gerade gerückt."
Die privaten Krankenversicherer sprechen von 150 000 Kunden, die aktuell ihren Beitrag nicht zahlen. Schon im Herbst 2011 waren deren Außenstände in der PKV auf 554 Millionen Euro beziffert worden. In der gesetzlichen Krankenversicherung betragen die Beitragsrückstände samt aufgelaufener Zinsen nach jüngsten Angaben der Regierung allein von Selbstständigen 1,5 Milliarden Euro.
Im Rechenbeispiel machen die Zinsen nach vier Jahren mehr als 50 Prozent der Schuldensumme aus
Wie die Zeitung weiter schreibt, habe die Bundesregierung unlängst ausgerechnet, dass ein gesetzlich versicherter Selbständiger, der seinen Beitrag nicht zahlt, nach 2 Jahren auf Beitragsschulden von 10.447 Euro kommt, wovon 3.847 Euro Säumniszuschläge sind. Nach vier Jahren machten Zinsen und Zuschläge schon mehr als die Hälfte der auf 29.300 Euro gewachsenen Schuld aus.
Die private Versicherung konnte solche Verträge bisher "ruhend" stellen und die Versicherungspflicht auf ein Notfallniveau absenken, heißt es in dem Bericht weiter. Die Kunden blieben aber in den vergleichsweise teuren Tarifen gebunden, ihr Schuldenberg wuchs weiter. Für solche Fälle soll es nun nach einem ausgeklügelten Mahnverfahren in der privaten Krankenversicherung einen eigenen neuen Notlagentarif geben. Er umfasst nur eine Basisbehandlung. Im Kern ist das die Behandlung von akuten Erkrankungen, Schmerzzuständen, chronischen Erkrankungen und Schwangerschaften. Eine Altersrückstellung wird nicht aufgebaut. Klassische Instrumente der PKV wie Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse und Selbstbehalte gibt es nicht.
Unklarheit herrscht darüber, wie mit uneinbringlichen Schulden umgegangen werden soll
Dieser Tarif sei für alle Anbieter einheitlich, wobei Art, Umfang und Höhe vom PKV-Verband festgelegt würden. In Branchenkreisen wird davon ausgegangen, dass der vom Kunden zu zahlende Beitrag für den Notlagentarif 100 Euro im Monat nicht übersteigen wird. "Bis zu 50 Prozent davon, also 50 Euro, kann der Versicherer aus einer im alten Tarif angesammelten Altersrückstellung des Kunden zuschießen", schreibt die "FAZ". "Hat der seine Schulden abgezahlt, kann er in den alten Tarif mit den besseren Konditionen zurückkehren." Nichts gesagt wird in dem Gesetzestext drüber, wie mit den aufgelaufen und vielfach vermutlich uneinbringlichen Schulden umgegangen werden soll.
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) ließ erklären, er begrüße "dass die durch die Große Koalition 2007 von ein Prozent auf fünf Prozent je Säumnismonat beschlossene Anhebung der Säumniszinsen wieder rückgängig gemacht werden soll." Denn die hohen Säumniszuschläge hätten nicht die von der damaligen Bundesregierung erhoffte Wirkung gehabt, heißt es weiter. "Sie haben zu keiner verlässlichen Beitragszahlung geführt, sondern die Probleme mit den Beitragsrückständen verschärft."