HIV: Medikamente verändern orale Manifestationen
Nur der Zahnarzt inspiziert regelmäßig die oralen Schleimhäute, ihm kommt deshalb eine besondere Rolle zu. Bis Mitte der 1990er-Jahre führte eine HIV-Infektion meist zur tödlichen Erkrankung Aids, da es keine dauerhaft wirksamen Behandlungsmöglichkeiten gab. Seit Einführung der antiretroviralen Therapien können Menschen mit HIV bei rechtzeitiger Diagnose aber lange Zeit ein weitgehend normales Leben führen. Doch welchen Einfluss hat eine antiretrovirale Therapie auf orale Manifestationen? Mit dieser Fragestellung setzten sich Forschende aktuell auseinander [Khoury und Meeks, 2021].
Am häufigsten ist die Candidose
Die Studienautoren beschreiben auf Basis der Ergebnisse des 8th World Workshop for Oral Health and Disease, dass die am häufigsten auftretende orale Manifestation bei HIV-Infizierten mit 35 Prozent die Candidose ist. Weiterhin werden folgende orale Manifestationen beobachtet: orale haarige Leukoplakie, Infektionen mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV), Kaposi-Sarkom, HIV-bedingte orale Ulzerationen, parodontale Erkrankungen, HIV-bedingte Speicheldrüsenerkrankungen, Hyperpigmentierung der Schleimhäute und Infektionen mit dem humanen Papillomavirus (HPV).
Vergleicht man die aktuellen Daten mit denen der EC-Clearinghouse-WHO aus dem Jahr 1993 fällt auf, dass manche Schleimhautveränderungen immer noch häufig auftreten, andere wiederum weniger häufig, aber auch neue Erkrankungsbilder hinzugekommen sind. Die Autoren vermuten eine durch die antiretroviralen Medikamente verursachte Modulation der oralen Manifestationen.
Die Prävalenz der Candidose ist laut der Autoren seit Einführung der antiretroviralen Therapie zurückgegangen. Dabei scheint die Schwere der Candidose mit dem „Grad der Immunschwäche und der Wirksamkeit der antiretroviralen Therapie“ zu korrelieren [Khoury und Meeks, 2021]. Auch die Prävalenz der oralen haarigen Leukoplakie, der Speicheldrüsenerkrankungen und Non-Hodgkin-Lymphome zeigt sich unter Einführung der antiretroviralen Therapie rückläufig, wobei gleichzeitigHIV-bedingte Ulzerationen, Tuberkulose, HSV-Infektionen, HPV-Infektionen, Kaposi-Sarkome und in einigen Fällen Herpes-Zoster-Infektionen häufiger aufzutreten scheinen.
Als Grund für die erhöhten Prävalenzen nach Beginn der antiretroviralen Therapie sehen die Autoren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Reaktion, die sich Immunrekonstitutionssyndrom nennt. Der Begriff beschreibt „eine übertriebene Immunreaktion auf Infektionserreger und pathologische Zustände, die auf eine durch antiretrovirale Therapie wiederhergestellte Immunität zurückzuführen ist.“ [Khoury und Meeks, 2021].
Die überschießende Immunreaktion fällt demnach zeitlich eng mit dem Beginn der antiretroviralen Therapie zusammen und richtet sich gegen bereits prävalente Antigene. Diese erkläre Khoury und Meeks zufolge auch, warum orale Ulzerationen bei Patienten mit einer antiretroviralen Therapie häufiger auftreten als bei Patienten, die eine solche Therapie nicht erhalten. Das Vorkommen einer Hyperpigmentierung der Schleimhäute sei häufig als medikamenteninduziert zu betrachten, zum einen durch antiretrovirale Substanzen, zum anderen durch Medikamente gegen mikrobielle Infektionen.
Auch die Kariesprävalenz ist erhöht
Abschließend weisen die Autoren auf eine erhöhte Kariesprävalenz bei HIV-infizierten Personen hin. Scheinbar sei durch die Immunsuppression ein erhöhtes Vorhandensein von Candida albicans dafür verantwortlich. Candida albicans interagiert wiederrum mit Streptococcus mutans und könne so eine verstärkte Kolonisation herbeiführen.
Originalpublikation: Khoury ZH, Meeks V. The influence of antiretroviral therapy on HIV-related oral manifestations. J Natl Med Assoc. 2021 Aug;113(4):449-456. doi: 10.1016/j.jnma.2021.02.008. Epub 2021 Mar 21. PMID: 33762122.