Max-Planck-Institut untersucht das Lippenlesen
Forscher am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften haben die neuronalen Grundlagen des Lippenlesens untersucht. Sie konnten zeigen, dass Wörter und Lippenbewegungen einander umso besser zugeordnet werden, je größer die Aktivität in einer bestimmten Region im Schläfenlappen des Gehirns ist. Im oberen temporalen Sulcus werden visuelle und auditive Informationen miteinander verknüpft.
Schau mir auf den Mund
Im Alltag versuchen wir meistens nur unterbewusst, anderen die Worte von den Lippen abzulesen. Doch in einer lauten Umgebung ist es oft sehr hilfreich, dem Gesprächspartner auf den Mund zu schauen. Warum das so ist, erklärt Helen Blank, Wissenschaftlerin am Leipziger MPI: "Indem unser Gehirn beim Lippenlesen Informationen aus verschiedenen sensorischen Quellen verbindet, verbessert sich das Sprachverstehen.“
In einer aktuellen Studie hat die Forschungsgruppe "Neuronale Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikation" herauszufinden versucht, auf welche Weise visuelle und auditorische Areale des Gehirns beim Lippenlesen zusammenarbeiten.
Widersprüchliche Infos erhöhen Hirnaktivität
Im Experiment hörten Probanden zunächst kurze Sätze, dabei wurde ihre Hirnaktivität mithilfe funktioneller Magnetresonanztomografie gemessen. Darauf folgte jeweils ein kurzes tonloses Video von einer sprechenden Person.
Per Knopfdruck sollten die Teilnehmer danach angeben, ob Wörter und Mundbewegung ihrer Meinung nach zusammengepasst haben. War dies nicht der Fall, reagierte ein Teil des Netzwerks von Hirnarealen, das visuelle und auditorische Informationen verknüpft, mit erhöhter Aktivität und erhöhte seine Verbindung zu auditorischen Sprachregionen.
"Wahrscheinlich entsteht durch die akustische Vorinformation eine Erwartungshaltung, welche Lippenbewegungen man sehen wird“, vermutet Blank. "Ein Widerspruch zwischen Vorhersage und dem tatsächlich Wahrgenommenen wird im STS als Fehler registriert.“
Wie stark die Aktivität in diesem Areal ausfiel, hing direkt mit den Lippenlese-Fähigkeiten zusammen: Je stärker sie war, desto häufiger lagen die Teilnehmer im Experiment richtig. "Bei den besten Lippenlesern wurde also ein besonders starkes Fehlersignal generiert“, sagt Blank.
Wie das Hirn Gehörtes und Gesehenes verbindet
Die Studie ist ein wichtiges Ergebnis nicht nur für die Grundlagenforschung. Besseres Wissen darüber, wie das Hirn Gehörtes und Gesehenes bei der Sprachverarbeitung miteinander verbindet, könnte auch in den klinischen Wissenschaften Anwendung finden.
"Menschen mit Hörstörungen sind oft sehr stark auf das Lippenlesen angewiesen“, sagt Blank. Weiterführende Studien könnten etwa untersuchen, was im Gehirn passiert, wenn Lippenlesen bewusst trainiert oder mit Zeichensprache kombiniert wird, so die Wissenschaftlerin aus Leipzig.