„Prävention hat keinen Schalter, den man einfach umlegt!"
Die Liste der To-dos, mit denen sich die EU im Bereich Gesundheit auseinandersetzen muss, ist lang – darüber waren sich alle Gäste, die am 16. Juli zum Europatag nach Brüssel gekommen waren, einig. Was sich auf EU-Ebene gegen steigende Versorgungskosten und zu viel Bürokratie im Gesundheitswesen unternehmen lässt, waren nur zwei Probleme, die intensiv diskutiert wurden.
Die deutsche Zahnärzteschaft bringt ihre evidenzbasierte Expertise gerne ein
Großes Entlastungspotenzial für die nationalen Gesundheitssysteme schreibt die EU-Kommission dem Bereich Prävention zu. Aus diesem Grund habe Ursula von der Leyen Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi beauftragt, ein umfassendes Konzept für die lebenslange Gesundheitsförderung der Menschen in der EU zu entwickeln, sagte BZÄK-Präsident Prof. Dr. Christoph Benz in seiner Begrüßung. Die Gesundheitssysteme durch konsequente Prävention zu entlasten, hält Benz grundsätzlich für einen sinnvollen Ansatz.
Er merkte jedoch gleichzeitig an: „Prävention hat keinen Schalter, den man einfach umlegt und dann läuft alles. Im Gegenteil, dahinter steckt ein langwieriger Prozess, der sich über Jahrzehnte zieht.“ Die deutsche Zahnärzteschaft sei diesen Weg bereits gegangen und könne im präventiven Bereich messbare Erfolge vorweisen, unterstrich Benz mit Verweis auf die Ergebnisse der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS • 6). „Unsere evidenzbasierte Expertise bringen wir gerne in die europäische Gesundheitspolitik ein“, bot er den Vertreterinnen und Vertretern der EU an.
Die EU-Politik könnte bei der Ernährung ansetzen
Laut einer aktuellen Studie im Auftrag von Greenpeace entstehen dem deutschen Gesundheitssystem durch den hohen Zuckerkonsum jährliche Kosten von knapp zwölf Milliarden Euro. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits im Jahr 2015 attestierte eine Untersuchung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Biotechnologieunternehmens Brain AG den Deutschen den Verzehr von zu viel Zucker, aber auch Salz und Fetten. Die Solidargemeinschaft koste das jährlich mehr als 16,8 Milliarden Euro, etwa für die Behandlung von Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Krebs. Ernährung spielt für die Gesundheit demnach eine entscheidende Rolle – hier könnten präventive Konzepte ansetzen.

Nicht nur die BZÄK fordert daher schon länger, dass die Politik hier aktiv wird. Zum Beispiel durch die Einführung einer verständlichen Lebensmittelkennzeichnung, die zuckerhaltigen Nahrungsbestandteile klar aufzeigt. Zudem sollten Lebensmittel für Kinder deutlich zuckerreduziert sein und Sonderabgaben für stark zucker- und/oder säurehaltige Softdrinks eingeführt werden. Bei der Podiumsdiskussion auf dem Europatag sagte BZÄK-Vizepräsidentin Dr. Romy Ermler, dass eine Abgabe auf Zucker von den politischen Parteien in Deutschland sehr unterschiedlich gesehen würde. Ein Impuls aus der EU könne die Einführung entsprechender Regelungen eventuell beschleunigen.
Bei der Zucker-Abgabe gingen die Meinungen auseinander
Prof. Dr. Rainer Jordan, wissenschaftlicher Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), erinnerte daran, dass für stark zuckerhaltige Getränke in Großbritannien alleine die Ankündigung einer Abgabe auf Zucker schon ausgereicht habe, um die Hersteller zu einer deutlichen Reduktion des Zuckeranteils zu bewegen. „Ich glaube, ähnliche Maßnahmen könnten von der EU gut gesteuert werden“, betonte Jordan. Auch in der Tabak- und Alkoholprävention sieht er Möglichkeiten wie etwa Werbeverbote.
Darauf sagte Oliver Schenk (CDU), Mitglied des Gesundheitsausschusses des Europäischen Parlaments, dass er auf der einen Seite viel Sympathie für solche Vorschläge habe. „Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die gesellschaftliche Situation zurzeit sehr angespannt ist. Viele Menschen sagen: 'Macht endlich Schluss mit diesem belehrenden Politikansatz und sagt uns nicht, was wir dürfen und was nicht!'“, so Schenk. Er würde daher eher auf Aufklärung setzen oder gesunde Ernährungsangebote in Kantinen, Schulen und Kindergärten fördern.
Zudem müsse man präventive Maßnahmen weiter erforschen. „Wir wissen darüber wahrscheinlich noch viel zu wenig. Insofern plädiere ich dafür, gemeinsam dafür zu sorgen, Krankheiten und wie sie entstehen zu erforschen und auch, wie man Prävention wirklich klug macht. Wie wir es jetzt diskutiert haben, bedeutet Prävention, den Leuten etwas zu verbieten oder zu empfehlen. Es gibt aber wahrscheinlich noch ganz andere Dinge“, meinte Schenk.
Er sei nicht der Auffassung, dass die großen lebensstilassoziierten Erkrankungen wie Diabetes oder Parodontitis noch intensiver erforscht werden müssten, entgegnete Jordan und warf die Frage auf, ob die individuelle Freiheit als Argument ausreiche, um nicht entschiedener gegen nachgewiesen gesundheitsschädliche Verhaltensweisen vorzugehen.
Meint die EU es ernst mit dem Bürokratieabbau?
Ebenso wie die deutsche Bundesregierung hat auch die EU-Kommission angekündigt, den Bürokratieabbau voranzubringen. Die Wirtschaftsjournalistin Silke Wettach, die die Podiumsdiskussion moderierte, wollte vor diesem Hintergrund von Sabine Kossebau, Leiterin des Referats Gesundheit der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU, wissen, ob sie hier „echten Willen“ sehe.
Daran werde sehr intensiv gearbeitet, sagte Kossebau. An die Leistungserbringer gewandt appellierte sie, dass es im Vergleich zu nationaler Gesetzgebung auf europäischer Ebene noch wichtiger sei, sich frühzeitig mit Gesetzesvorhaben auseinanderzusetzen und entsprechende Forderungskataloge einzureichen. „Wenden Sie sich mit den Vorschlägen an die Kommission, das Europäische Parlament und auch an die Mitgliedstaaten, um Ihre Anliegen rechtzeitig zu platzieren“, so Kossebau. Denn: Anders als auf nationaler Ebene seien Gesetze auf EU-Ebene nach den langjährigen Verhandlungen der Mitgliedstaaten nach ihrer Ratifizierung erst einmal „in Stein gemeißelt“.
Hier täten sich zwei Probleme auf, gab BZÄK-Vizepräsidentin Ermler zu bedenken: Zum einen ließen sich manche bürokratischen Belastungen vorab nicht erkennen und zum anderen sähen sich die Bundesregierung und EU oft nicht in der Verantwortung. „Wir haben kürzlich detaillierte Forderungen zum Bürokratieabbau im zahnärztlichen Bereich veröffentlicht und dann die Erfahrung gemacht, dass Berlin die Zuständigkeit in Brüssel sieht und Brüssel schiebt es auf Berlin. Da wünschen wir uns einen Konsens.“
„Es muss sich etwas tun!“
Konstantin von Laffert, Vizepräsident der BZÄK, beendete den Europatag mit einem kurzen Schlusswort. „Wir haben heute wirklich oft den Satz gehört: Es wird schwierig“, so sein Fazit. „Natürlich ist es nicht einfach, Prävention auf- und Bürokratie abzubauen. Aber aus Sicht der Zahnärzteschaft möchte ich sagen: Es muss sich etwas tun!“ Auf keinen Fall dürfe es – beispielsweise im Zuge des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) – zu noch mehr Bürokratie für Zahnärztinnen, Zahnärzte und ihre Teams kommen. Das würde auch die ohnehin angespannte Personalsituation in den Praxen verschärfen. Gute Lösungen, stellte von Laffert klar, wären daher „überlebenswichtig“.