Wie Babyzähne die Gesundheit voraussagen

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Zahnmedizin
Die Bedeutung von Baby-Zähnen geht möglicherweise bald über den sentimentalen Wert, den sie für nostalgische Eltern besitzen, hinaus: Forscher haben herausgefunden, dass Milchzähne Gesundheitsdaten abspeichern. Dabei können sie nicht nur Umweltgifte wie Blei und Pestizide sowie vom Baby in utero produzierte Stresshormone anzeigen - sie haben auch das Potenzial, Krankheiten im Erwachsenenalter vorauszusagen.

Was wie Science-Fiction klingt, ist der Schlüssel von Manish Aroras Arbeit. Aurora arbeitet als Umwelt-Epidemiologe und Biologe an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York. Er hat herausgefunden, dass  Milchzähne während sie wachsen Ringe bilden - ähnlich wie Bäume das tun, nur dass die Ringe täglich statt jährlich entstehen. Dabei enthält jeder Ring Informationen über Einflüsse, denen das Baby Tag für Tag ausgesetzt ist. Arora: "Ich beschreibe oft Zähne oft als biologische Festplatten."

"Zähne sind biologische Festplatten!"

Seine Arbeit ist Teil des aufstrebenden Studiengebiets über den "Exposom", ein Begriff, der im Jahr 2005 geprägt wurde, um die Gesamtheit aller nicht-genetischen, endogenen wie exogenen Umwelteinflüsse auf das Individuum zu beschreiben.

Das Studium des Exposoms könnte Aurora zufolge die Art und Weise, wie wir Gesundheit erfassen und bewerten, dramatisch verändern. Durch eine per Fingerstich gewonnene Blutprobe könnte ein Arzt dann zum Beispiel in der Lage sein, die Umweltreize und externen Einflüsse des Individuums zu analysieren, um am Ende seine Gesundheitsrisiken zu definieren.

Milchzähne geben dabei die frühesten und umfassendsten Einblicke, wie Umweltfaktoren die Gesundheit beeinflussen. "Vom kindlichen Asthma bis zur Adipositas im Erwachsenenalter kursieren derzeit Hypothesen, welche Einflüsse, denen die schwangere Mutter ausgesetzt war, diese Risiken beeinflussen", erklärt David Balshaw, Leiter der Abteilung Exposure, Reponse and Technology am National Institute of Environmental Health Sciences, in der Washington Post. "Die Frage ist: Was kann man tun?" Seine Meinung: Je mehr wir in der Lage sind, bestimmende Faktoren aus der Kindheit mit späteren gesundheitlichen Problemen zu verbinden, desto mehr sind wir in der Lage, diese Risiken zu reduzieren.

"Klar spielt der Umweltanteil hier eine große Rolle!"

Nach mehr als einem Jahrzehnt Forschungsarbeit werden gerade etliche Projekte initiiert, die diese Zusammenhänge untersuchen sollen. Das größte Zentrum, das den sogenannten Exposom untersucht, ist das 2013 gegründete "Health and Exposome Research Center: Understanding Lifetime Exposures", kurz Hercules, an der Emory Universität in Atlanta, Georgia, USA. Wissenssprünge in der Technologie sowie die Erkenntnis, dass man mithilfe des Genoms allein kein vollständiges Bild der menschlichen Gesundheit erhält, haben das Feld angetrieben. "Es war ganz klar, dass der Umweltanteil hier eine große Rolle spielt", sagte Gary Miller, Direktor des Hercules-Center, der Zeitung.

###more### ###title### "Deshalb müssen wir bei den Kindern ansetzen!" ###title### ###more###

"Deshalb müssen wir bei den Kindern ansetzen!"

Für Forscher, die die Gesundheit von Kindern untersuchen, ist das Interesse am Exposom besonders hoch. Viele Krankheiten beziehungsweise ihre Disposition sind im Kindesalter angelegt. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen bricht sie später aus. Steve Rappaport, Professor für Umweltgesundheit an der University of California in Berkeley, hat zum Beispiel die Blutproben von 3.000 Neugeborenen analysiert, um Unterschiede herauszufiltern zwischen den Kindern, die später an Leukämie erkranken und denen, die gesund bleiben. Da das Risiko an Leukämie zu erkranken, wenig von der Genetik beeinflusst wird, ist Rappaport nach eigenen Worten auf der Jagd nach Faktoren in der Umwelt, die die Krankheit verursachen.

"Suchen Sie alles, was man messen kann!"

Früheren Bemühungen, Umweltursachen von Krankheiten zu identifizieren, ging in der Regel eine Hypothese voraus. Frei nach dem Motto: Die Substanz X führt zu Bedingung Y. Ein Ansatz, der im Wesentlichen auf Mutmaßungen basiert, weil nur bestimmte Substanzen geprüft werden anstatt ein breites Netz auszuwerfen.

"Die Idee des Exposoms erraten Sie nicht. Sie müssen alles suchen, was man messen kann", sagte Rappaprt dem Blatt. Sein Team habe bereits bis zu vier Moleküle im Blut identifiziert, die die Entstehung der Leukämie bei Kindern vorherzusagen scheinen und nicht genetisch bedingt sind, das heißt, sich aus externen und internen Einflüssen ergeben, wie aus Ernährung oder Stress.

Rappaport will jetzt in einer weiteren Studie die Zusammenhänge zwischen Frauen untersuchen, die Brustkrebs entwickelten und den Risiken, denen ihre Mütter während der Schwangerschaft ausgesetzt waren Das Blut der Mütter wurde in den 1960er Jahren gesammelt und gespeichert.)

###more### ###title### Warum der Zahn-Biomarker so wichtig ist ###title### ###more###

Warum der Zahn-Biomarker so wichtig ist

Die Studien müssen also bei den Kindern ansetzen. Und weil Aroras Zahn-Biomarker genau das tut, ist er so vielversprechend: Der Biomarker kann nicht nur erkennen, welchen Einflüssen ein Kind ausgesetzt war, sondern auch, zu welchem Zeitpunkt dies geschah. Und da der zur Geburt des Babys erstellte Zahnring sich von jeder anderen Linie unterscheidet, sind Aroras Informationen sehr genau bezüglich der Frage, ob die Exposition bereits in der Gebärmutter eintrat oder später.

Arora will mithilfe des Zahn-Biomarkers herausfinden, wie Chemikalien die Entwicklung des Nervensystems bei Kindern beeinflussen. Statt die Auswirkungen einzelner Chemikalien zu untersuchen, wie es die traditionellen Verfahren zur Bestimmung der Toxizität bislang vorschrieben, er hat ein Verfahren entwickelt, das Tausende von Chemikalien auf einmal auszeichnet.

"Niemand ist zu einem Zeitpunkt nur einer Chemikalie ausgesetzt. Jeder ist Clustern von Chemikalien ausgeliefert", sagte Robert Wright, Direktor des Laboratory Lautenberg für Gesundheit und Umwelt an der Icahn School of Medicine, deer Washington Post. "Nur sehr wenige Studien, wenn überhaupt, berücksichtigen das." Wright, Rappaport und andere Forscher sind zuversichtlich, dass ihre Arbeit als Schlüssel zur Behandlung oder Vermeidung großer gesundheitlicher Probleme dienen wird.

Vielleicht mehr als alles andere, sagen die Wissenschaftler, markiert der Exposom einen grundlegenden Wandel in der Art und Weise, wie wir Gesundheit definieren. Die Forschung bewegt sich weg von dem Verständnis, wonach eine Ursache für die Krankheit verantwortlich ist hin zu einem Ansatz, nach dem wir vielen Kombinationen von Substanzen ausgesetzt sind - in der Luft, in der Nahrung, bei uns selbst und während des ganzen Lebens. Wir leben in einer komplexen Welt - Befürworter des Exposoms hoffen, der medizinische Gemeinschaft die nötigen Werkzeuge dafür zu geben.

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