Veränderte Essgewohnheiten begünstigten die Entstehung neuer Sprachlaute

Neue Zahnstellung: Darum sprechen wir heute anders als unsere Vorfahren

ck/pm
Gesellschaft
Ernährungsbedingte Gebissveränderungen haben in verschiedenen Sprachen der Welt zu neuen Lauten wie dem "f" geführt. Dies zeigt die Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung der Universität Zürich.

Dabei widersprechen die Resultate der traditionellen Annahme, dass das Spektrum an Sprachlauten in der Menschheitsgeschichte unverändert blieb. Das Lautinventar menschlicher Sprache ist den Forschern zufolge aber äußerst vielfältig und umfasst häufige Laute wie "m" und "a" ebenso wie die seltenen Schnalzlaute in einigen Sprachen im südlichen Afrika.

Folge einer neuen Zahnstellung: das "f" und das "v"

Gemeinhin wird angenommen, dass sich das Lautspektrum mit der Entstehung des Homo Sapiens vor ungefähr 300.000 Jahren stabilisierte. Doch die Studie wirft eine neues Licht auf die Evolution gesprochener Sprache. Sie zeigt demnach, dass sich Laute wie "f" und "v", die heute in zahlreichen Sprachen vorkommen, erst vor relativ kurzer Zeit verbreitet haben - als Folge einer neuen Zahnstellung, die ihrerseits auf veränderte Ernährungsgewohnheiten zurückgeht.

Aufgrund der härteren und zäheren Nahrung entwickelten frühere Menschen im Erwachsenenalter einen sogenannten Kopfbiss, bei dem die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers Kante auf Kante stoßen.

Vom Kopfbiss zu den Labiodentalen

Mit der zunehmenden Verbreitung weicherer Nahrung setzte sich an seiner Stelle jedoch eine Gebissform durch, bei der die oberen Schneidezähne leicht über die unteren hinausragen. Dies ermöglichte die Bildung neuer Laute, die heute in der Hälfte aller Sprachen der Welt vorhanden sind: Labiodentale, bei denen die oberen Schneidezähne die Unterlippe berühren, wie bei der Aussprache von "f".

"In Europa finden wir in den letzten zwei Jahrtausenden einen drastischen Anstieg an Labiodentalen, die auf die zunehmende Verbreitung verarbeiteter, weicherer Nahrung zurückgeht und durch die Einführung industrieller Mahlverfahren zusätzlich vorangetrieben wurde", führt Steven Moran, einer der beiden Ko-Erstautoren, aus. "Der Einfluss unserer biologischen Voraussetzungen auf die Lautentwicklung wurde bisher also unterschätzt."

Ungeklärt bleibt, wie Cäsar sein "veni, vidi, vici" aussprach

Inspiriert wurde das Forschungsprojekt durch den Linguisten Charles Hockett, der 1985 eine Häufung von Labiodentalen in Bevölkerungsgruppen mit Zugang zu weicherer Nahrung beobachtete.

"Es war letztlich ein seltener Fall von übereinstimmenden Befunden", sagt Ko-Erstautor Damián Blasi. Das ganze Projekt sei nur möglich gewesen, weil heute große Datenbanken, detaillierte biomechanische Simulationen und computerintensive Analysemethoden verfügbar sind. "Unsere Resultate geben einen Einblick in die ursächlichen Zusammenhänge zwischen kulturellem Verhalten, menschlicher Biologie und Sprache", resümiert Projektleiter und UZH-Professor Balthasar Bickel. "Und sie lassen Zweifel daran aufkommen, dass sich Sprache heute immer noch gleich anhört wie in grauer Vorzeit."

Diese Erkenntnisse und die neuen Methoden, die dafür entwickelt wurden, erlauben es nun, andere ungelöste Fragen anzugehen: zum Beispiel jene, wie Sprachen früher tönten oder wie Cäsar sein "veni, vidi, vici" aussprach.

Originalpublikation:D. E. Blasi, S. Moran, S. R. Moisik, P. Widmer, D. Dediu, B. Bickel. Human sound systems are shaped by post Neolithic changes in bite configuration. Science, 14 March 2019. DOI: 10.1126/science.aav3218

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