Strengere Zulassungsregelungen

Europäische Union ändert Rechtsrahmen für Medizinprodukte

Alfred Büttner
Ab Mitte 2020 gilt europaweit ein neues Regelwerk für Medizinprodukte. Doch welche Auswirkungen hat das für die zahnmedizinische Versorgung?

Der neue EU-Rechtsrahmen für Medizinprodukte – Welche Auswirkungen gibt es für die zahnmedizinische Versorgung?

Viele Medizinproduktehersteller blicken mit Sorge auf den Ablauf dieser Frist. Sie warnen vor bürokratischen Mehrbelastungen, die insbesondere von kleineren Betrieben kaum erfüllt werden könnten. Die Herstellerverbände befürchten, dass vor allem Nischenprodukte, unter anderem auch im Dentalbereich, ganz vom Markt verschwinden könnten und sehen die Gefahr von Engpässen bei der medizinischen Versorgung.

Hintergrund und Inhalt der neuen EU-Regeln

Die die neue EU-Verordnung über Medizinprodukte, Verordnung (EU) 2017/745, wurde nach fünf Jahren langwieriger und komplizierter Verhandlungen vom Europäischen Gesetzgeber im Mai 2017 verabschiedet.

Die Verordnung ersetzt die geltende europäische Medizinprodukterichtlinie, die infolge mehrerer Skandale, wie etwa um minderwertige Brust- oder Hüftimplantate,  massiv in die Kritik geraten war.  Im Interesse der Patientensicherheit sieht der neue EU-Rechtsrahmen strengere Vorgaben für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten, gekoppelt mit einer umfangreicheren  Marktüberwachung nach Einführung der Produkte sowie neue Vorgaben zu deren Rückverfolgbarkeit vor.

Durch die neuen Regeln findet kein grundlegender Systemwechsel statt, wie Kritiker des alten Rechtsrahmens angesichts der Skandale um fehlerhafte Medizinprodukte zu Beginn der Beratungen gefordert hatten. So hatten sich insbesondere die Verbände der Krankenkassen und zahlreiche Gesundheitspolitiker im Europäischen Parlament für ein europaweit einheitliches Zulassungsverfahren, analog den bestehenden Regeln für Arzneimittel, ausgesprochen.

Auch unter dem neuen EU-Rechtsrahmen bleibt es bei dem bekannten Konformitätsverfahren, bei dem sog. „Benannte Stellen“  Medizinprodukte prüfen und mit der CE-Kennzeichnung versehen. Künftig müssen die „Benannten Stellen“ deutlich mehr Auflagen erfüllen. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter über die notwendigen fachlichen Qualifikationen verfügen, um die strengeren Konformitätsverfahren durchführen zu können. Zudem stehen die „Benannten Stellen“ künftig unter strengerer Aufsicht seitens der nationalen Behörden. Auf Drängen des Europäischen Parlaments müssen die Hersteller von Medizinprodukten ferner entsprechende Vorkehrungen treffen, um eine ausreichende finanzielle Deckung ihrer Haftung im Schadensfall zu garantieren. 

Das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens ist aus rechtstechnischer  Sicht kein Glanzlicht. Die Verordnung  ist ausgesprochen kleinteilig und kompliziert. Auf 175 Seiten Rechtstext finden sich mehr als 100 Erwägungsgründe, 123 Artikel und zudem 17 technische Anhänge.

Probleme bei der Umsetzung der Medizinprodukteverordnung

In allen EU-Mitgliedstaaten läuft die Umsetzung der neuen Verordnung schleppend. In Deutschland wurde ein eigener nationaler Arbeitskreis zur Implementierung des neuen EU-Rechtsrahmens ins Leben gerufen. Ende August 2019 hat das federführende Bundesgesundheitsministerium den Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745“ kurz MPAnpG-EU vorgelegt, zu dem die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben haben.

Die Implementierungsphase des neuen Rechtsrahmens zeigt, dass die praktische Anwendung der neuen EU-Regeln nicht einfach werden wird. So gibt es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt europaweit nur fünf „Benannte Stellen“, die tatsächlich in der Lage wären, bestehende und neue Medizinprodukte nach den strengeren Vorgaben des neuen Rechtsrahmens zu prüfen und die notwendige CE-Kennzeichnung  zu vergeben. Ein weiteres, nicht unerhebliches, Problem wird durch den Umstand hervorgerufen, dass die unerlässliche Beantwortung zahlreicher Detailfragen vom Europäischen Gesetzgeber auf die Europäische Kommission im Wege sog. implementierter oder delegierter Rechtsakte übertragen wurde.

Bislang hat die Europäische Kommission lediglich zwei dieser Durchführungsrechtsakte erlassen. Mindestens sechszehn weitere wären notwendig, damit der neue Rechtsrahmen korrekt angewendet werden kann. Wie eingangs geschildert warnen die Hersteller von Medizinprodukten mit Blick auf den neuen Rechtsrahmen auch vor einer ausufernden Bürokratie und lange Wartezeiten, die im Ergebnis dazu führen könnten, dass sich die Entwicklung und Herstellung von Medizinprodukten nicht mehr lohnen wird.

Position der Zahnärzteschaft

Die Zahnärzteschaft hat das Gesetzgebungsverfahren für den neuen EU-Rechtsrahmen für Medizinprodukte über Jahre hinweg intensiv begleitet. Über den europäischen Dachverband der Zahnärzteschaft, den Council of European Dentists (CED), hat die BZÄK mehrere Stellungnahmen verfasst, die in die Arbeiten im Europäischen Parlament und im Rat, der Versammlung der EU-Mitgliedstaaten, eingeflossen sind.

Das wichtigste Anliegen des CED war es, ohne Einschnitte zu Lasten der Patientensicherheit, auch unter dem neuen Rechtsrahmen bewährte Dentalprodukte zu erhalten und die Entwicklung neuer Medizinprodukte nicht durch zu strenge Vorgaben zu verhindern. Dies betraf insbesondere die Frage des Einsatzes von Nanomaterialien in Dentalprodukten, was vom Europäischen Gesetzgeber im Verlauf der Beratungen auch aufgenommen wurde. Für den CED war und ist es wichtig, auch unter dem neuen Rechtsrahmen eine Balance zwischen der Patientensicherheit und der Verfügbarkeit von Dentalmaterialien zu schaffen.

Im November 2018 und Mai 2019 nahm die CED-Vollversammlung gleich zwei Stellungnahmen zum neuen Rechtsrahmen für Medizinprodukte an, in denen die EU-Institutionen aufgerufen werden, die Frist bis zur Anwendung des neuen Rechtsrahmens zu verlängern. Jüngste Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Mahnungen gehört wurden und für bestimmte, weniger risikoreiche Medizinprodukte  längere Übergangsfristen gewährt werden sollen.

Längere Übergangsfristen alleine werden die Probleme des neuen Rechtsrahmens auf Dauer allerdings nicht lösen. Insbesondere die Europäische Kommission ist aufgerufen, durch entsprechende klare Durchführungsbestimmungen eine praktikable Anwendung des Rechtsrahmens sicherzustellen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Abkürzung „CE“ am Ende bei Medizinprodukten, wie manche Spötter es ausdrücken, eher für „confusion everywhere“ statt für „conformité européenne“ steht.

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