Folgen des Zuckerkonsums

So spielt die Industrie die Zuckergefahr herunter

Hanna Hergt
Zahnmedizin
Die Industrie versucht seit Jahrzehnten, die gesundheitlichen Folgen des Zuckerkonsums zu verharmlosen. Um den Absatz von Schokolade und Limonaden zu steigern, spannt sie auch die Forschung für sich ein. Was Wissenschaftler, Politiker und Verbraucher dagegen tun können.

„Kakao hält Kopf und Zähne fit“ - mit dieser ungewöhnlichen Botschaft überraschten jüngst ein Ernährungswissenschaftler und ein Zahnmediziner auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Ersterer hatte in einer Studie mit Grundschülern herausgefunden: Das süße Milchgetränk verbesserte die Leistungsfähigkeit der Kinder signifikant - im Gegensatz zu Obst und Gemüse oder Studentenfutter.

Die Tricksereien der Studienautoren

Allerdings hatte auch ein ausgewogenes Frühstück (Vollkornbrot mit Käse oder Geflügelwurst, Obst und Gemüse, Milch oder Schokomilch, Mineralwasser) eine ebenso positive Wirkung auf die mentale Fitness der Schüler wie der Schokotrunk. Doch die Empfehlung des Ernährungsexperten war eindeutig: Das Angebot von Kakao sei an Grundschulen zu bevorzugen. Schützenhilfe bekam er von dem Zahnmediziner, der nachwies: Ein Frühstück mit Kakao ist nicht kariogener als eins mit Mineralwasser.

Nun ist die Studie allerdings nicht publiziert. Doch bereits die Zusammenfassung für die Presse wirft mindestens Fragen auf: Warum wurde nicht die Kariogenität allein von Kakao geprüft? Und warum testete der Ernährungswissenschaftler nicht neben Kakao auch Milch pur? Schließlich widerspricht der Kakao den „Qualitätsstandards für die Schulverpflegung“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DEG). Diese empfiehlt für die Pausenverpflegung in der Schule Milch oder selbstgemachte ungesüßte Milchgetränke.

Wenn der Partner Landliebe heißt

Eine mögliche Antwort findet sich auf einem Service-Portal, das mehr Milchgetränke an die Schulen bringen möchte. Dort ist zu lesen: „Kakao verbessert Schulnoten“ - und besagter Gesundheitswissenschaftler erläutert, dass Kakao vergleichsweise wenig Industriezucker enthalte und aufgrund seiner Zusammensetzung die Konzentration bei Kindern sogar besser als Milch pur fördere.

Partner des Portals ist das Unternehmen CampinaFriesland Germany, das mit seiner Marke Landliebe der bundesweit größte Schulmilchlieferant ist. Das Unternehmen beklagt auf der Webseite, dass Eltern und Politik den zuckerhaltigen Trunk aus den Schulen verdrängten - aber sich mit Milch alleine eine Vermarktung dort nicht lohne.

Der Einfluss der Schokoladen-Lobby

Die Verquickung von Lebensmittelindustrie und Forschung ist vielschichtig, der Einfluss oft unsichtbar, das Ziel der Lobby aber klar erkennbar: Um den Absatz von Schokoriegeln, Keksen und Limonade zu steigern, beeinflusst sie nicht nur Politik und Verbraucher, sondern nimmt auch die Wissenschaft für sich ein.

So finanziert sie laut Verbraucherschützern Studien, die einen Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Schäden und Zuckerkonsum infrage stellen. Außerdem laden Vertreter der Industrie Wissenschaftler zu Vorträgen oder Diskussionsrunden, gewinnen sie für gemeinsame Initiativen - und machen sie so zum Sprachrohr der eigenen Sache.

„Auch aus anderen Branchen wissen wir, dass Studien an eigenen Interessen ausgerichtet sind und unliebsame Ergebnisse nicht veröffentlicht werden“, sagt Timo Lange von der Organisation LobbyControl. Die Wissenschaft lasse sich einspannen, weil sie Finanzierungsprobleme hat und auf der Suche nach Drittmitteln ist.

Wie die Zuckerindustrie Karies gezielt verharmlosen wollte

Erst jüngst haben Ärzte der University of California in San Francisco in der Fachpublikation PLOS Medicine (online) dargelegt, wie die Zuckerindustrie die Folgen von gesüßten Speisen und Getränken auf die Zähne von 1950 bis 1971 zu bagatellisieren versuchte. Dafür werteten die Gesundheitsforscher 319 Dokumente von 30 internationalen Lebensmittel- und Süßwarenherstellern aus.

Diese zeigen: Die Zuckerindustrie förderte beispielsweise Forschungsprojekte, die einen Impfstoff gegen Karies entwickeln oder Enzyme ausmachen sollten, die den Zahnbelag auflösen. Außerdem beeinflusste sie geschickt die Verantwortlichen für das Nationale Kariesprogramm an den Gesundheitsinstituten der USA. Mit Erfolg: Obwohl Zahnärzte schon damals wussten, dass weniger Zucker zu weniger Karies führt, sprach sich die WHO erst 2003 dafür aus, den Zuckerverzehr einzuschränken.

Geschicktes Ablenkungsmanöver

Auch in Deutschland gab es Bemühungen, von der schädlichen Wirkung des Zuckers abzulenken und stattdessen Forschung über Fluoride voranzutreiben. So unterstützten Zucker- und Zahnpflegemittelindustrie 1953 die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Fluorforschung und Kariesprophylaxe (heute: ORCA); 1976 riefen die Centrale Marketing-Agentur (CMA) als wichtigste Landwirtschaftslobby-Vereinigung, die Süßwaren- und Getränkeindustrie sowie die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker den Informationskreis Mundhygiene und Ernährungsverhalten (IME) ins Leben.

Dieser wirkt auch heute noch - finanziert von Verbänden der Lebensmittelwirtschaft - auf Wissenschaftler, Zahnärzte, Medien, Verbraucher und Schulen ein. Ebenso wie das kurz darauf von der Nahrungsmittelindustrie gegründete Life Sciences Institute (ILSI), das sich bis dato als unabhängige und wissenschaftliche Non-Profit-Organisation präsentiert. Zu den Mitgliedern von ILSI Europa zählen Südzucker, Ferrero, Coca-Cola und Danone. Auch die Organisation European Food Information Council (EUFIC), die es seit 1995 gibt, steht im Dienste der Industrie; Förderer sind etwa Südzucker, Nestlé oder Unilever.

Siehe Tabaklobby: Schäden werden kleingeredet

„Die Lebensmittelindustrie bemüht sich seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt, Regulierungen zu verhindern und die eigene Verantwortung für ernährungsmitbedingte Erkrankungen wie Karies oder Übergewicht kleinzureden,“ sagt Oliver Huizinga von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Er wertet die neuen Veröffentlichungen der amerikanischen Forscher als weiteres Indiz dafür, „dass sich die Lebensmittelwirtschaft ganz ähnlich verhält wie über Jahrzehnte die Tabakindustrie“.

Die Auswertung der Kariesstudien der 1950er bis 1970er Jahre gehe in die gleiche Richtung wie eine aktuelle Literaturanalyse der Studien zum Zusammenhang von Softdrink-Konsum und Übergewicht. Wissenschaftler der spanischen Universität Navarra und des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) hatten herausgefunden: Wenn Autoren Studien machen, die von der Lebensmittelindustrie finanziert werden, ergibt sich in vier von fünf Fällen kein Zusammenhang zwischen zuckerhaltigen Getränken und Übergewicht.

Bei unabhängigen Studien verhält es sich genau andersherum. „Solange Zweifel an wissenschaftlichen Zusammenhängen gesät werden, handelt die Politik meist nicht - und die Unternehmen können weitermachen wie bisher“, kritisiert Huizinga.

Die Doppelstrategie der Industrie

Aus ihrer Sicht wünschenswerte Informationen veröffentlicht die Industrie dann beispielsweise auf den Internetseiten der Organisationen EUFIC oder ILSI. „Diese kommen sehr wissenschaftlich daher und verweisen auf alle möglichen Studien - auch zum Thema Zucker“, sagt Lobbyforscher Lange.

Für Verbraucher ist schwer zu erkennen: „Wer steckt genau dahinter? Wer finanziert die Studien? Und kann ich den Informationen vertrauen?“ Es sei die klassische Doppelstrategie der Industrie, einerseits die Wissenschaftscommunity und andererseits die Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Während das EUFIC sich als vermeintlich transparentes Informationsportal vor allem an Verbraucher richtet, zielen die Aktivitäten des ILSI auf die Wissenschaft. Die auf den Portalen präsentierten Studien relativieren grundsätzlich Zuckergefahren.

Ihre Botschaft: "Zähneputzen reicht!"

Ein zahnmedizinisches Beispiel ist eine ILSI-Publikation, in der die wissenschaftliche Literatur sehr einseitig ausgewertet wurde: „Die Karieshäufigkeit korreliert nur dann mit dem Saccharoseverbrauch, wenn die Mundhygiene schlecht ist und kein Fluorid zugeführt wird.“ Das gründet sich im Wesentlichen auf die Statistik nur einer Studie aus Großbritannien. Ähnliche Informationen streut der IME auf seiner Webseite: „Zur Vermeidung von Karies scheint eine gründliche und regelmäßige Zahnpflege (zweimal täglich) mit fluoridhaltiger Zahncreme wichtiger als ein reduzierter Zuckerkonsum zu sein.“

Dass es auch differenzierter zugehen kann, wenn die Industrie wissenschaftliche Informationen verbreitet, zeigt das britische Pendant: Die Sugar Nutrition UK, ebenfalls unterstützt von Zuckerherstellern, geht weitaus offener mit Forschungsergebnissen um.

Dr. Harald Strippel, zuständig für die zahnmedizinische Versorgung beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), hat die auf der Homepage angesprochenen Studien untersucht: Elf von 16 der Arbeiten zum Thema „Zucker und Karies“ legen eine Zuckerreduktion als Maßnahme der Kariesprävention nahe. Nur aus zwei Publikationen lässt sich das Gegenteil ableiten, aus den verbleibenden drei ergeben sich keine klaren Folgerungen.

###more### ###title### Intensivfluoridierung statt Zuckerreduktion ###title### ###more###

Intensivfluoridierung statt Zuckerreduktion

„Generell ist es eine Tatsache, dass es Lobbyarbeit auch im Bereich der Zahn- und Mundgesundheit gibt“, sagt Univ.-Prof. Dr. Hendrik Meyer-Lückel von der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde an der RWTH Aachen. Diese finde aber eher unauffällig statt. Seiner Erfahrung nach stünden hinter den wissenschaftlichen Studien zur Kariesprävention in der Zahnmedizin aber zumeist die Hersteller von Zahnpflegeprodukten, die unter anderem die Fluoridierung befördern wollen.

In den vergangenen 20 bis 30 Jahren sei deshalb eine eindeutige Tendenz in der Zahnmedizin zu erkennen, den Zuckerkonsum als gegeben hinzunehmen und mit Fluoridierung, Mundhygieneinstruktionen und der Empfehlung, Kaugummis zu kauen, dagegen zu halten.

Ein gutes Beispiel, dass diese Bemühungen teilweise übertrieben würden, sei die Verwendung von hochfluoridierten Zahngelen, die in den 1990er Jahren massiv beworben wurden. „Selbst unsere Studierenden sind meist der Meinung, dass es bei ihnen einer Intensivfluoridierung bedarf, auch wenn sie gar kein erhöhtes Kariesrisiko haben“, erzählt der Wissenschaftler.

Mal "bewusst" ein Mars essen

Die unstrittig kariespräventive Fluoridanwendung macht sich wiederum die Lebensmittelindustrie zunutze. So kommentierte deren Cheflobbyist Dr. Christoph Minhoff die Empfehlung der WHO zur Reduktion des Zuckerkonsums damit, dass sich Kinder, um Karies vorzubeugen, einfach die Zähne putzen müssten. Oder Konzerne wie Mars, die neben Schokoriegeln auch Zahnpflegekaugummis anbieten, propagieren einen „bewussten“ Zuckerkonsum. „Anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen, redet sich die Industrie heraus. Sie tut so, als wäre es alles nur ein Problem des Individuums“, sagt Huizinga von Foodwatch.

„Dabei ist eine zuckerarme Ernährung absolut wünschenswert, denn es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Zucker und Karies, aber auch zwischen Zucker und Allgemeinkrankheiten wie Diabetes und koronarer Herzkrankheit. Nicht umsonst hat die WHO gerade wieder die Höchstdosis der täglich empfohlenen Zuckermenge reduziert. Wer gesüßte Getränke zu sich nimmt, übersteigt diese Dosis automatisch“, sagt Univ.-Prof. Dr. Roland Frankenberger, Direktor der Abteilung für Zahnerhaltung am Medizinischen Zentrum für ZMK der Phillips-Universität Marburg und des Universitätsklinikums Gießen und Marburg.

Softdrinks braucht kein Mensch

Die gesüßten Getränke sind laut Zahnmediziner Frankenberger gefährlicher als feste süße Nahrung, weil sie in der Regel häufiger konsumiert werden und bei entsprechendem Säuregehalt auch Erosionen auslösen können. In den USA gab es etwa eine Erhebung, dass die Menschen im Schnitt mehr als einen Liter gesüßter Getränke pro Tag zu sich nehmen.

„Dabei braucht kein Mensch Zuckerlösungen, um den Durst zu löschen. Häufig haben wir in der Kinderzahnheilkunde mit Eltern Diskussionen, die denken, sie könnten ihren Kindern Säfte und Limonaden nicht abgewöhnen - das ist absoluter Unsinn“, sagt Prof. Frankenberger. Zahnmediziner Meyer-Lückel gibt zu bedenken: „Gesüßte Getränke werden teilweise mit so hoher Frequenz konsumiert, dass man seine Zähne sozusagen stundenlang in Zucker badet - über Jahre entstehen so kavitierte kariöse Läsionen.“

Limo: Zuckerbad für die Zähne

Und bei zu hoher Zuckerfrequenz könnten auch Fluoride Karies nicht vollständig verhindern. Das hat laut Meyer-Lückel eine In-situ-Studie gezeigt - eine der neueren Arbeiten, die den Zusammenhang von Zuckerfrequenz und Karies untersucht hat. „Dass diese Erkenntnis relevant ist, bestätigt sich anhand einer prospektiven Kohortenstudie über 15 Jahre aus Schweden – die Untersuchten sind heute 40 bis 42 Jahre alt. Nur circa 20 Prozent dieser Kohorte waren in der Lage, fortgeschrittene Läsionen an allen Approximalflächen zu verhindern. Eine vollständige Kariesverhinderung ist nur bei wesentlich zahngesünderer Ernährung denkbar“, resümiert der Zahnforscher.

Auch Public-Health-Experte Strippel weist darauf hin, dass Karies immer noch die am weitesten verbreitete chronische Erkrankung ist, auch wenn Zwölfjährige nicht mehr so stark betroffen sind wie früher. „Schon bei den 15-Jährigen ist im Vergleich zu den Zwölfjährigen zweieinhalb Mal mehr Karies zu verzeichnen.“

Er ist daher überzeugt: „Fortschritte bei der Kariesprävention sind dadurch zu erreichen, dass Rahmenbedingungen gesetzt werden, durch die der Zuckerkonsum reduziert wird. Ein gutes Beispiel für diese sogenannte Verhältnisprävention ist der zuckerfreie Vor- und Nachmittag in Kita oder Schule. Durch Leitlinien für die Einrichtungen wird Kindern und Jugendlichen ein gesundheitsorientiertes Verhalten leicht gemacht.“

Wie die Industrie die Ampel verhinderte

An dieser Stelle ist die Politik gefragt, verstärkt einen gesundheitsförderlichen Rahmen zu setzen. Hierfür müssten sich allerdings auch die Verbraucher und die Wissenschaft einsetzen, um anders gerichteten Einflussnahmen von Interessengruppen entgegenzuwirken. Die Nährwert-Ampel, die Verbraucher über die Inhaltsstoffe der Lebensmittel aufklären sollte, ist ein Beispiel dafür, mit welcher Energie die Industrie ihre Interessen auch im politischen Bereich durchsetzt.

„Verbraucher- und Ärzteverbände, Krankenkassen und weite Teile der Bevölkerung in Deutschland - alle waren für die Nährwert-Ampel. Die Lebensmittelindustrie war dagegen und hat europaweit eine Milliarde Euro aufgewandt, um ihr eigenes Kennzeichnungsmodell durchzusetzen“, erzählt Huizinga von Foodwatch.

Das sei kompliziert, unverständlich und verschleiere die Zuckergehalte. Die Lebensmittelindustrie ahnte in diesem Fall, dass irgendeine Regulierung kommen würde, und führte dieses System „freiwillig“ schon teilweise ein, um die Ampel zu verhindern. „Es geht im Lobbying also nicht unbedingt darum, Koffer voller Geld heimlich hinter die Theke zu schieben. Es geht darum, politische Maßnahmen im Vorfeld so zu beeinflussen, dass die Industrie weitermachen kann wie bisher“, fasst der Foodwatch-Fachmann das Problem zusammen.

Vorbildhaft: der Kampf gegen die Zigarette

Als Vorbild für eine umfassende Strategie gegen die Überzuckerung kann laut Zahnmediziner Frankenberger der erfolgreiche Kampf gegen das Rauchen dienen. „Ich bin überzeugt, dass die Politik mit den richtigen Regulierungen viel bewegen kann. Wer hätte zum Beispiel vor zehn Jahren gedacht, dass wir heute fast rauchfrei in der Gastronomie sind? Heute sind Zigaretten zum Glück bei vielen Jugendlichen uncool. Warum sollten wir das nicht auch beim Zucker erreichen?“

Analog könnten Aufklärungskampagnen auf die Folgen eines übermäßigen Zuckerkonsums hinweisen. „Eine sicherlich gewöhnungsbedürftige, aber unterstützende Option wäre zum Beispiel, zerstörte Zähne auf die Verpackungen von stark zuckerhaltigen Produkten zu drucken - ähnlich wie bei Zigaretten, findet Meyer-Lückel. „Allerdings scheint der Nikotinkonsum erst durch die Einführung großflächiger Rauchverbote eindeutig zurückgegangen sein.“

Schluss mit Kinderwerbung für Frühstückscerealien

Darüber hinaus sollten nach Foodwatch nur noch Produkte, die dem WHO-Nährwertprofil entsprechen, an Kinder vermarktet werden. „Das würde den Druck auf die Industrie erhöhen, die Rezepturen entsprechend zu verbessern. Zum Beispiel bei den stark gezuckerten Frühstückscerealien, die sehr aggressiv an Kinder vermarktet werden. Frühstücksflocken müssen nicht so ungesund sein, wie sie heute sind“, sagt Huizinga.

Ein weiterer Teil der Strategie könnte laut Strippel eine Zuckersteuer sein. Andere Staaten haben bereits ein solches Instrument eingeführt: So besteuern die Franzosen zuckerhaltige Getränke entsprechend höher. Und in Mexiko gibt es seit 2013 eine Fett-Zucker-Steuer, etwa für Schokolade, Eiscreme oder Limonaden.

Um die Wissenschaft weniger anfällig zu machen für die Interessen der Industrie, müsste laut Lobby-Experte Lange der Bereich Forschung transparenter werden. Wird eine Studie veröffentlicht, dann sollte verpflichtend darauf stehen, wer diese finanziert hat - das gilt auch für die Pressemitteilung. „Zudem wäre ein Wissenschaftstransparenzregister denkbar, aus dem Drittmittel, Projekte, Gutachten oder Verträge ersichtlich werden“, schlägt Lange vor.

Reparatur hat immer noch Vorrang

Aber auch das Gesundheitssystem selbst schafft Fehlanreize, die es zu überdenken gilt: „Die Medizin - nicht nur die Zahnmedizin - ist immer noch stärker auf Reparatur als auf Prävention eingestellt. Die Welt wird immer dicker, präventive Aspekte sind aber noch immer unterrepräsentiert. Dann werden oft Tabletten gegen Diabetes verschrieben, obwohl die radikale Umstellung der Ernährung der erste Schritt wäre“, sagt Zahnmediziner Frankenberger.

Und nicht zuletzt ist die Industrie selbst gefordert, sich für gesündere Produkte zu engagieren. Immerhin haben etliche Hersteller in den vergangenen Jahren umgedacht und bieten zuckerfreie Produkte an. So unterstützen Teile der Industrie die Aktion Zahnfreundlich, der zu verdanken ist, dass sich zahnschonende Produkte heute in jedem Supermarkt finden - als Kaugummis und Bonbons sogar an der Kasse.

Hanna Hergt,Diplom-Volkswirtin und Fachautorin

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.