Pädiatrie

Gezielte Behandlung für Kinder mit Rheuma

Rheumatische Erkrankungen im Kindesalter sind selten. Die häufigste ist die juvenile idiopathische Arthritis (JIA), an der in Deutschland etwa 15 000 Patienten im Kindes- oder Jugendalter leiden. Mit einem Wirkstoff aus dem Bereich der „Biologics“ scheint nun eine gezielte Behandlung möglich zu sein. Dadurch könnte die bislang erforderliche Therapie mit Kortison oder Zytostatika verdrängt werden.

Seit Januar 2001 ist im Zentrum für Kinderrheumatologie an der Abteilung für Neonatologie und Allgemeine Pädiatrie der Asklepios-Klinik in Sankt Augustin der Tumornekrose-Faktor-alpha-(TNFa)-Antagonist Etanercept für die Behandlung von Kindern mit JIA verfügbar. Seit dieser Zeit zählt Prof. Gerd Horneff, der Leiter des Zentrums, mehr als 700 Kinder, die sich dieser Behandlung unterzogen haben. Dadurch war es erstmals möglich, bei mehr als 80 Prozent der Kinder die Symptome deutlich zu bessern. Besonders die Gelenkschmerzen und die Morgensteifigkeit verschwanden teilweise völlig, die Kinder benötigten weniger Kortison und nahmen wieder ihr normales Körperwachstum auf.

Nicht lebensgefährlich, aber bedrohlich

Insgesamt rechnet man in Deutschland mit etwa 15 000 Rheumapatienten im Kindesund Jugendalter. Im Falle der JIA ist die Letalität zwar niedriger als ein Prozent, im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern jedoch um den Faktor 4 bis 14 erhöht. Unter der bislang verfügbaren Therapie behalten 25 Prozent der Kinder für den Rest ihres Lebens eine Sehbehinderung, die Gelenkentzündungen sind auch nach zehn Jahren Behandlung noch bei 75 Prozent der Patienten mit Polyarthritis aktiv. Bei 63 Prozent der Kinder mit einer systemischen Arthritis und bei 53 Prozent der Kinder mit Oligoarthritis sieht man keine Besserung. Bleibende Schäden im Erwachsenenalter finden sich bei ein bis zwei von vier Patienten. Für bislang therapieresistente rheumakranke Kinder besserte sich die Situation unter einer kontrollierten prospektiven Studie mit dem TNFa-Antagonisten Etanercept. Es handelte sich um 69 JIA-Patienten im Alter zwischen 4 und 17 Jahren, die zuvor ohne Erfolg mit Methotrexat behandelt worden waren. Sie litten an schmerzhaften Entzündungsprozessen an mindestens vier Gelenken.

Alle Patienten wurden vier Monate in einer offenen Titrationsphase mit Etanercept behandelt. 51 Patienten sprachen auf den TNFa-Antagonisten an. 26 Patienten aus dieser Gruppe erhielten danach randomisiert und doppelblind über vier Monate Plazebo, dann das Verum über die restliche Studiendauer von elf Monaten, während 25 Patienten über die gesamte Studiendauer das Verum erhielten. Wie Abbildung 1 zeigt, reagierten nahezu alle Kinder während der ersten Studienphase (drei Monate Verum) mit einer Besserung von mindestens 30 Prozent bezogen auf die Zahl der befallenen Gelenke. In der folgenden viermonatigen doppelblinden Studienphase erhielt nur jedes zweite Kind nach dem Zufallsprinzip Etanercept, die anderen Kinder ein gleichartiges Scheinpräparat. Bei diesen Patienten verschlechterten sich die Symptomatik wiederum deutlich. Am Ende der viermonatigen Plazebo-Phase zeigten nur noch 40 Prozent der Kinder eine entsprechende Besserung. Während der dann folgenden offen geführten Anschlussstudie über elf Monate dauerte es wiederum ein Vierteljahr, bis die nun ebenfalls mit dem TNFa-Antagonisten den gleichen Grad der Besserung erreichten wie die Kinder, die über die gesamte Zeit der Studie das Verum erhalten hatten.

Eine solche über Kreuz geführte Studie hat auch bei geringeren Probandenzahlen eine hohe Aussagegenauigkeit.

Entwicklungsdefizite der Kinder vermindert

Außerordentlich wichtig erschien es Prof. Horneff auch, auf die sonstigen positiven Wirkungen der neuen Therapie hinzuweisen. So zeigte es sich, dass die Mehrzahl der Kinder auch nach Ende der 18-Monats-Studie noch eine offene Fortführung der Behandlung wünschten. Zwei Jahre nach Ende der Studie wurden noch 86 Prozent, vier Jahre nach Ende noch 59 Prozent der Kinder mit der neuen Substanz versorgt.

Für den Abbruch der Teilnahme wurden zu dieser Zeit folgende Gründe angegeben: Ineffektivität bei 10 Prozent, Nebenwirkungen bei 7 Prozent, Wunsch der Patienten oder deren Eltern bei 7 Prozent, Arztentscheidung bei 5 Prozent, Protokollabweichungen bei 3 Prozent und Wegzug der Kinder bei 3 Prozent. Mehrfachnennungen waren möglich.

Der Anteil der Kinder, bei denen sich die als Studienziel festgelegte Besserung um 30 Prozent feststellen ließ, war nach vier Jahren kontinuierlich auf 94 Prozent gestiegen. Auch der Anteil der Patienten, bei denen sich 70 Prozent der befallenen Gelenke gebessert hatten, war zu diesem Zeitpunkt mit 78 Prozent sehr hoch.

Am wichtigsten scheinen jedoch die positiven Langzeitfolgen eines Einsatzes von Etanercept bei den JIA-Patienten zu sein, die am Zentrum in Sankt Augustin in einer eigenen begleitenden Studie erfasst wurden. So berichtet Prof. Horneff, dass zu Beginn 420 Patienten mit oralen Kortikosteroiden behandelt werden mussten. 109 der Kinder (26 Prozent) konnten diese Behandlung beenden, fast alle konnten unter die für den Morbus Cushing kritische Schwellendosis von 5 mg Prednisolon-Äquivalent gebracht werden. Dieser Therapieeffekt ist für die Entwicklung der Kinder extrem wichtig, wie sich auch an der Veränderung des Gesichtes der Kinder (Abbildung 2) oder an der Normalisierung der Wachstumskurven zeigt.

Auch die bislang als Standard eingesetzte Behandlung mit dem Zytostatikum Methotrexat (MTX) konnte von 558 Patienten zu Beginn der Therapie mit TNFa-Antagonisten um 15 Prozent (86 Patienten) gesenkt werden. Da MTX bei Kindern in seiner Langzeitwirkung schwer einschätzbar ist, reduziert man sehr gerne diese Therapie.

Noch nicht erwiesen, aber sehr wahrscheinlich, wird auch bei den Kindern eine Wirkung des neuen Biologics ausgelöst werden, nämlich eine Verhütung oder sogar Verminderung der Zerstörung in der Gelenkstruktur, wie sie bei erwachsenen Patienten bereits mehrfach belegt werden konnte.

Bei den unerwünschten Wirkungen der Therapie mit einem TNFa-Antagonisten wird besonders nach einer etwaigen Häufung von Infektionen geachtet, da diese Substanzen in der Lage sind, die Immunantwort auf Infektionserreger zu schwächen. Weder in der Studie noch im Patientengut des Zentrums fanden sich jedoch Hinweise auf eine Häufung von Infektionen.

Frühzeitig in spezialisierten Zentren abklären

Von erwachsenen Rheumapatienten ist die Klage über den Mangel an versierten Rheumatologen beziehungsweise an Rheuma-Ambulanzen bekannt. So werden diese Patienten oftmals von ihren Hausärzten bis zur Verursachung von blutenden Magenulzera mit Schmerzmitteln behandelt, statt sie einer sachkundigen Rheumatherapie zuzuführen. Dieser Mangel an Fachpersonal in Deutschland trifft leider die an Rheuma erkrankten Kinder noch stärker als die erwachsenen Patienten. Derzeit existiert lediglich ein Zentrum, das sich auf Rheuma im Kindesalter spezialisiert hat, sechs Rheumatologen haben die Zusatzbezeichnung „Kinderrheumatologie“ erworben.

Die Haus- und Kinderärzte sind mit diesem Krankheitsbild in den meisten Fällen überfordert. Sie sehen daher oftmals erst nach Monaten eine Überweisung als Lösung an. Je nach Gegend dauert es 8 bis 12 Monate vom Beginn der Symptomatik, bis die richtige Diagnose gestellt und eine gezielte Therapie begonnen wird.

Das Zentrum in Sankt Augustin strebt ein bundesweites Netzwerk an, um eine ortsnahe ambulante Versorgung der Kinder zu ermöglichen. Bislang liegt erst von einer Krankenkasse die Zusage für eine Kostenbeteiligung vor. Diese Kasse versorgt lediglich fünf Prozent der Bevölkerung. Das Zögern der gesetzlichen Kassen ist schwer verständlich, da eine Therapie im Zentrum nach Aussage der Experten um ein Mehrfaches kostspieliger ist als die ambulante Versorgung.

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