Deutscher Zahnärztetag 2010 - Fortbildungskongress

Wissen schafft Zukunft

Mit einer Rekordbeteiligung war das ein Fortbildungskongress, wie ihn die deutsche Dentalfamilie noch nicht gesehen hatte. Mit einem über 100-stündigen Vortragsangebot von 210 Referenten aus Praxis, Forschung und Lehre wurde ein zweitägiges Programm angeboten, das auch den versiertesten Kongressbesucher in große Entscheidungsnöte brachte, an welcher Session er denn nun teilnehmen sollte. Aber alle Angebote fanden unter einem Dach statt, sodass die kurzen Wege es durchaus möglich machten, viele Teilbereiche – unter Umständen auch parallel – abzudecken.

Wenn 28 Fachgesellschaften, Arbeits- gemeinschaften und Arbeitskreise der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) unter dem Leitgedanken „Synergie – Synthese – Synopsis“ einen so unfangreichen Kongress veranstalten, kann an dieser Stelle nur auszugsweise mit Fokussierung auf einzelne Highlights berichtet werden. Denn das umfangreiche Fortbildungsprogramm fand in über 20 Räumen parallel statt, und jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, sich sein „individuelles Kongresspaket zu schnüren“, wie es der Tagungspräsident Prof. Dr. Dr. Henning Sliephake aus Hannover in seiner Eröffnungsrede zum wissenschaftlichen Programm skizzierte. Der Vizepräsident der BZÄK und Präsident der Zahnärztekammer Hessen, Dr. Michael Frank, sowie der Kammerpräsident Rheinland-Pfalz, Dr. Michael Rumpf, lobten die intensive Zusammen- arbeit mit der wissenschaftlichen Dachgesellschaft in der Vorbereitungsphase zu diesem Kongress. Denn es war hier gelungen, alle Gruppen, die in irgendeiner Weise eine Anbindung an die Medizin haben, zusammen zu bringen und damit nicht nur den interdisziplinären Gedanken zu unterstreichen, sondern auch klar nach außen zu dokumentieren, dass „Zahnmedizin ein Fach der Medizin“ ist, wie es Dr. Frank ausdrückte.

Komplexer Fall als roter Faden

Denn wie ein roter Faden zog sich der sogenannte „Komplexe Fall“ durch alle Veranstaltungen. Dieses war so konzipiert, dass nacheinander zunächst eine Patientensituation vorgestellt wurde, darauf mehrere zahnmedizinischen Disziplinen diese Situation beleuchteten, um dann zu einem umfangreichen interdisziplinären Ergebnis zu gelangen, das Behandler und Patient letztendlich in Gänze zufrieden stellt.

Die Hamburger Kieferorthopädin und ehemalige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) Professorin Dr. Bärbel Kahl-Nieke drückte dieses Procedere sehr plausibel und anschaulich aus: „Der erste Schritt auf dem Weg zum Erfolg ist das Gespräch mit dem Patienten und eine transparente Planung.“ Sie schilderte dann die einzelnen Schritte: „Der Patient stellt sich irgendwo vor, das muss kein Fachzahnarzt und schon gar keine Spezialklinik sein. Wichtig ist, dass nach der Diagnose-findung der weitere Therapiekorridor richtig ausgelegt wird. Dieser wird auch entscheidend durch den Leidensdruck des Patienten mit bestimmt.

Interdisziplinäre Schritte führen zum Therapieerfolg

Zum Basisprocedere gehören neben der allgemeinen Anamnese die klinische Diagnostik, die Bestimmung des Parodontalbefundes, die Funktionsbefundung und in jedem Fall ein Orthopanthomogramm (OPG). Aus diesen Werten resultieren verschiedene Therapieoptionen, die dem Patienten dargelegt werden sollten. Zeigt er Interesse, sollten die gemeinsamen Therapieziele bestimmt werden. „Zu allererst muss dafür gesorgt werden, dass der Mundhygienestatus des Patienten perfekt ist.“ Anschließend müssen gute, stabile parodon-tale Verhältnisse geschaffen werden, diese können unter Umständen auch durch ein chirurgisches Vorgehen erfolgen. Wenn auch noch die Logopädie einbezogen und eine erfolgreiche Mundfunktionstherapie durchgeführt wurde, kann es weitergehen. Eine möglicherweise erforderliche Behandlung des Kiefergelenkes muss mindestens zu einer deutlichen Schmerzreduktion, besser sogar zu einer völligen Beschwerdefreiheit geführt haben, bevor weiterführende kieferorthopädische, kieferchirurgische oder prothetische Maßnahmen in Angriff genommen werden. Dem Patienten sollte aber dabei immer wieder die wirtschaftliche Konsequenz vor Auge geführt werden, die eine solche interdisziplinäre Maßnahme mit sich bringt, forderte die Referentin. „Wenn dieses alles stimmig ineinandergreift, dann wird solch ein komplexer Fall mit Zufriedenheit aller Parteien gelöst werden“, hieß es in der abschließenden Diskussion.

Die Osseointegration als 3-D-Film hat Weltpremiere

Mit der Weltpremiere eines 3-D-Filmes über die Osseointegration eines Implantates wurde der Zuschauer gleich in medias res gezogen. Zum Start des wissenschaftlichen Programms wurde die Idee umgesetzt, die heute bekannten zellbiologischen Hintergründe der Osseointegration anhand beteiligter Zelltypen und Botenstoffe zu visualisieren. Mittels einer gigantischen und äußerst aufwendigen Animationstechnik konnten Zellprozesse visualisiert werden, die normalerweise dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Auf einer 18,5 mal 6 Meter großen Leinwand mit brillanter Projektion fühlte sich der Zuschauer als ein Teil des Geschehens bei der Knochenregeneration. Die filmische Darstellung der Einheilung eines Zahnimplantats in den Knochen ermöglichte das Verstehen komplexer biodynamischer Vorgänge und bot interess- ante Perspektiven für den Zuschauer.

Richtungweisende Themen griffig aufbereitet

In einer Pressekonferenz, die sich sowohl an Fachmedien als auch an die Publikums- und Tagespresse richtete, stellte die DGZMK als Veranstalter vier grundlegende Themen dar, die heute noch die zahnmedizinische und medizinische Forschung beschäftigt, morgen aber bereits den Praktiker auch in der Allgemeinzahnarztpraxis tangieren wird. So erklärte Professor Dr. Søren Jepsen, Bonn, man wisse heute, dass kardiovaskuläre Erkrankungen, die zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen können und zu den häufigsten Todesursachen hierzulande zählen, in einem Zusammenhang mit chronischen Entzündungen in der Mundhöhle stehen. „Das haben epidemiologische Studien in den vergangenen zehn Jahren belegt“ erläuterte der Parodontologe. Darüber hinaus haben erste Interventionsstudien gezeigt, dass durch parodontale Therapie Marker der subklinischen Atherosklerose positiv beeinflusst werden können. Denn experimentelle Studien zur Rolle der parodontalen Infektion bei der Atherogenese haben mehrere plausible Mechanismen nachweisen können, in denen pathogene parodontale Bakterien eine wichtige Rolle spielen. Sollten sich in weiteren Studien diese positiven Auswirkungen einer erfolgten parodontalen Therapie als Prävention vor einer Athero-sklerose bestätigen, könnte dies eine große gesundheitsrelevante und vor allem auch sozioökonomische Bedeutung haben. Denn sowohl Parodontopathien als auch kardiovaskuläre Erkrankungen haben eine große Verbreitung und damit auch einen „Volkskrankheitscharakter“.

Zahnanzucht jetzt im Tierversuch gelungen

Schon vor etwa 15 Jahren gelang es einem chinesischen Forscherteam erstmalig, den Traum eines jeden Menschen, dass nach einem Zahnverlust einfach ein Zahn nachwächst, zumindest ansatzweise wahr werden zu lassen. Denn sie konnten einen Zahn aus Stammzellen züchten. Bis heute wurde immer wieder an dieser Methode gefeilt und die Züchtung neuer Zähne ist im Tierversuch bereits mehrmals erneut gelungen. Hierzu beschäftigt sich die dentale Stammzellforschung mit sogenannten adulten Stammzellen, die aus fast allen Organen und Geweben der Mundhöhle isoliert werden können. Solche Stammzellen können „reprogrammiert“ werden und sind für Anwendungen in der Mundhöhle geeignet. Ziel der Forscher ist es langfristig, Neubildung von Zähnen im lebenden Organismus mit verschiedenen Ansätzen zu erreichen, wie mit Transplantations- oder molekular-genetischen Verfahren, wie Professor Dr. Ulrich Götz, Tübingen, dem interessierten Publikum präsentierte. Dieses Verfahren hat 2009 erstmalig zur erfolgreichen Zahnkeimbildung bei der Maus mit dem Entstehen eines okklusal belastbaren Zahns geführt. Für den künftigen Einsatz beim Menschen wird eine enge Verknüpfung zwischen biomedizinischer Forschung, Zahnmedizin und Dentalindustrie angestrebt. Professor Götz berichtete, dass es in den Vereinigten Staaten bereits vereinzelt sogenannte Zahnbanken gibt, in denen zum Bespiel wegen kieferorthopädischer Indikation extrahierte Zähne tiefgekühlt gelagert werden, um später vielleicht einmal, bei Bedarf eines Zahnersatzes, mit den eigenen Stammzellen Zahnersatz produzieren zu lassen. Der Referent wird diese Forschungsergebnisse in einer der kommenden zm-Ausgaben detaillierter vorstellen.

Anhängen, implantieren oder einfach so belassen

Der hochbetagte Patient mit einer Vollprothese gehört heute schon nicht mehr unbedingt zum Alltag einer Zahnarztpraxis. Und in etwa zehn bis zwanzig Jahren wird es noch mehr Senioren mit Restzahnbestand geben. Professor Dr. Michael Walter, Dresden legte in seinen Ausführungen das Augenmerk auf die Frage, wie man mit einer sogenannten verkürzten Zahnreihe umgeht, da bekanntlich die Molaren zeitlich vor den Frontzähnen verloren gehen. Die Folge sind Einschränkungen beim Kauvorgang , was langfristig nicht nur negative Auswirkungen auf die Mundgesundheit haben kann, sondern auch zu einer Malnutrition und damit einer Verschlechterung des Allgemein- zustands des Seniors führen kann. Welche Therapie hier am sinnvollsten wäre, das Anhängen, Implantieren oder Belassen, prüft die bundesweit bisher größte randomisierte Therapiestudie der prothetischen Zahnmedizin, wie Professor Walter erläuterte. Sie ist mit 14 universitären Studienzentren angelegt und wird zum Jahresende 2010 abgeschlossen sein. Die Ergebnisse werden dann unter den Gesichtspunkten gesundheitlicher Nutzen, Patientenzufriedenheit und Kosteneffizienz eine Neubewertung der Therapieempfehlungen von Freiend-Situationen ermöglichen.

Oberflächenoptimierung zur Kariesprophylaxe

Bei der Entstehung von Karies verstoffwechseln Mikroorganismen in der ausgereiften bakteriellen Plaque niedermolekulare Kohlenhydrate zu organischen Säuren, die dann die Zahnoberfläche entmineralisieren. Die Therapie der Karies und ihrer Folgen ist mit hohen Kosten von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung verbunden. Daher arbeiten Forschergruppen derzeit fieberhaft daran, einen Mechanismus zu finden, damit die Entstehung der Anhaftung der kariogenen Bakterienkolonien, also die Bildung des Biofilms, unterbleibt, wie Professor Dr. Christian Hannig, Dresden, erklärte. Aktuelle kariologische Forschungsvorhaben befassen sich mit innovativen antiadhäsiven, immunologischen, nanotechnolo- gischen, probiotischen, biomimetischen beziehungsweise bioinspirierten Strategien aber auch mit Naturstoffen zum Biofilmmanagement in der Mundhöhle.

Neue Behandlungsansätze bei Dentinhypersensibilität wurden in einem gemeinsamen Workshop von DGZ und GABA vorgestellt und diskutiert. Das multifaktorielle Krankheitsbild kann durch diverse Methoden therapiert werden, wobei sich die Pro-Argin Technologie vor allem im Hinblick auf die Sicherheit und Schnelligkeit des Wirk-eintritts etabliert hat.

Mit all diesen Beiträgen waren modernste zahnmedizinische Themenbereiche angesprochen, die die Wissenschaft derzeit beschäftigt, um Therapieverfahren, wie sie in den über 230 Vorträgen der diversen Fachgesellschaften interdisziplinär bereits vorgestellt werden konnten, weiter voran zu bringen. sp

Die Preise und Ehrungen des wissenschaftlichen Teils des Zahnärztetages, die Preisverleihung des Detrey/DGZMK/BZÄK-Förderpreises sowie die Tagungsberichte der einzelnen Fachgesellschaften erscheinen in den folgenden zm-Ausgaben.  

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