Bayerischer Zahnärztetag

Mit Laptop und Lederhose

„Von den Zahnärzten lernen, heißt Digitalisierung lernen“, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) beim Festakt auf dem 59. Bayerischen Zahnärztetag in München. Schließlich kam mit Cerec 1 bereits 1987 das weltweit erste CAD/CAM-System auf den Markt. Der Blick nach vorn zeigte den rund 1.200 Teilnehmern, wie rasant sich die zahnärztliche Berufsausübung auf Basis neuer Technologien – und politischer (Fehl-)Entscheidungen – verändert.

„Gesundheit droht zur Ware zu werden, die im Rahmen konzernartiger Versorgungsketten bestmöglich zu verkaufen ist“, rügte der Vorsitzende der KZV Bayern und Präsident der Bayerischen Zahnärztekammer, Christian Berger, vor über 300 Ehrengästen aus Politik, Verbands- und Gesundheitswesen. Er warnte vor einem Ausverkauf der Zahnmedizin durch Finanzinvestoren: „Am Ende beherrschen einige große Player den Markt. Dass diese Player nicht immer nur zufriedene Patienten haben, zeigt eine Statistik aus Spanien, wo einzelne Versorgungszentren überproportional viele Patientenbeschwerden provozieren.“ Berger dankte der bayerischen Gesundheitsministerin, die dafür plädierte, im SGB zu verankern, dass Zahnarztpraxen ausschließlich von Zahnärzten gegründet und betrieben werden können. „Das ist keine unbillige Forderung“, konstatierte Berger und verwies auf die anwaltliche Tätigkeit großer ‚Law Firms‘, die in der Bundesrechtsanwaltsordnung genauso geregelt sei. 

Lamentieren hilft nichts!

Da die Politik auf Bundesebene Kapitalinvestoren jedoch gewähren lasse, müssten die zahnärztlichen Körperschaften in Bayern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Berger: „Lamentieren hilft nichts! Sei es in der Gründungsberatung, sei es im Bereich der Dienstleistungen für unsere Praxen – wir werden auch künftig alles dafür tun, bewährte Strukturen zu erhalten, und uns dem Wettbewerb stellen. Dabei denken wir sowohl an kleine Einheiten als auch an Praxisnetze und -verbünde, die helfen können, den wachsenden Bürokratieaufwand und die enorm hohen Anforderungen an Qualität und Hygiene in den Praxen überhaupt noch erfüllen zu können.“

Digitalisierung ist kein Selbstzweck

Dass die Digitalisierung nur unter Einbeziehung des Patienten erfolgen kann, betonte der stellvertretende KZVB-Vorsitzende und BLZK-Vizepräsident Dr. Rüdiger Schott: „Es geht vor allem um eine praxisnahe Zahnmedizin, die uns die Arbeit erleichtert.“ Die Digitalisierung könne „fachübergreifend einen Beitrag zur Entlastung der Praxen leisten“, bestätigte Dr. Bernd Reiss, der Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ), die dieses Jahr als Kooperationspartnerin für das Fortbildungprogramm verantwortlich war: „Uns geht es um das tägliche Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Praxis.“

Ein weiteres wichtiges Thema: die Mundgesundheit Pflegebedürftiger. Laut der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) sind bundesweit knapp 30 Prozent der Pflegebedürftigen auf Hilfe bei der Mundpflege angewiesen. „Wir wollen in Bayern eine möglichst flächendeckende präventive und therapeutische Versorgung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen durch niedergelassene Zahnärzte koordinieren und die Mundgesundheitskompetenz weiter fördern“, erläuterte Schott. „Unser Konzept einer Landesarbeitsgemeinschaft für Pflegebedürftige (LAGP) liegt auf dem Tisch. Erste Signale aus der Politik zeigen, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.“

Ein Koffer voller Wissen

Zum Start der Initiative „Mundpflege in der Pflege“ übergaben Berger und Schott Gesundheitsministerin Huml den neuen Schulungskoffer von BLZK und KZVB, der für Zahnärzte konzipiert wurde, die Pflegepersonal in die Mundhygiene von Pflegebedürftigen einweisen. Der Koffer enthält einen Mustervortrag, Mundhygieneprodukte und verschiedene Informationsmaterialien zur Mundgesundheit. „Die Aufrechterhaltung eines eigenverantwortlichen und selbstständigen Lebens ist eines meiner Hauptziele für Seniorinnen und Senioren“, erklärte Huml. Dazu leistet der Lehrkoffer aus ihrer Sicht einen wichtigen Beitrag.

Da man im Freistaat Bayern gerne Tradition und Moderne verbinde – Stichwort Laptop und Lederhose –, sei es passend, den diesjährigen Bayerischen Zahnärztetag unter das Motto „Praxisreife digitale Zahnmedizin“ zu stellen, verdeutlichte der Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Dr. Peter Engel. Von der elektronischen Abformung bis zur Terminverwaltung habe die Digitalisierung den zahnärztlichen Berufsalltag an vielen Stellen bereits entlastet. „Doch bei aller Erleichterung und bei allen Möglichkeiten und Potenzialen, auf die wir in Zukunft noch hoffen können, dürfen wir die Augen nicht vor den Gefahren und Problemen verschließen. Kritiker sehen durch die Digitalisierung erhebliche Risiken für die informationelle Selbstbestimmung von Patienten und Zahnärzten – und in der Folge für deren gemeinsames Vertrauensverhältnis“, gab er zu bedenken. Für die BZÄK sei von zentraler Bedeutung, „dass auch in Zukunft die Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Zahnarzt als Entscheidungsbasis für oder gegen eine medizinische Maßnahme erhalten bleibt“. Dieses Vertrauensverhältnis dürfe nicht durch digitale Entscheidungsprozesse ersetzt oder fremdgesteuert werden.

Festvortrag von Prof. Dr. Christiane Woopen

Autonomie braucht Freiheit

Die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates und Co-Vorsitzende der Datenethikkommission der Bundesregierung, Prof. Dr. Christiane Woopen, richtete in ihrem Festvortrag „Der autonome Mensch in einer automatisierten Gesellschaft“ den Blick auf den Menschen vor dem Hintergrund des immer weiter voranschreitenden Einsatzes algorithmisch gesteuerter Systeme. „Diese Systeme kommen menschlichem Handeln immer näher“, führte Woopen aus. „Im Unterschied zu Robotern können wir uns aber unsere Ziele selbst setzen. Wir sind moralfähig, das heißt, wir haben die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.“

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.