KZBV und BZÄK zur Aufarbeitung der Corona-Krise

Lessons learned?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich für eine umfassende Aufarbeitung der Corona-Krise ausgesprochen. Der Bundestag soll die Pandemiepolitik der Bundesregierung der letzten Monate analysieren und eine Bewertung abgeben. Die Auswertung dieser Erkenntnisse soll der Gesundheitsausschuss zusammen mit Experten vornehmen. Was die zahnärztlichen Spitzenorganisationen von der Initiative halten, haben wir die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) gefragt.

Was sagen Sie zu dem Plan?

KZBV:

Die Initiative des Ministers wird von uns nachdrücklich begrüßt. Der Verlauf der Corona-Epidemie hat gezeigt, dass eine gründliche und umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und Entscheidungen der vergangenen Monate notwendig ist, um auf vergleichbare Situationen – wie etwa eine weitere Infektionswelle oder eine neue Pandemie – künftig besser vorbereitet zu sein. Im Vergleich mit anderen Ländern ist Deutschland zwar bislang relativ gut durch die Corona-Krise gekommen, allerdings sind auch Defizite bei der Versorgung deutlich geworden, etwa bei der schnellen Beschaffung und heimischen Produktion von Arzneimitteln, Schutzausrüstung und Hygieneartikeln für die Zahnarztpraxen.

BZÄK:

Die Pandemie stellt uns alle vor nicht geahnte Herausforderungen. Wir haben es mit einem Virus zu tun, das weitestgehend unerforscht ist und gleichzeitig lebensbedrohend sein kann. Wir haben uns alle miteinander bis zum heutigen Tag gut geschlagen, aber einen „lessons learned?“-Prozess aufzusetzen, ist Voraussetzung dafür, uns für zukünftige Herausforderungen dieser Art gut aufzustellen. Wir alle lernen an- und miteinander. Noch ist die Krise aber nicht bewältigt. Dieser Prozess wird fortgesetzt werden müssen. Wir haben dabei die Aufgabe, die Erfahrungen des Berufsstands genau im Blick zu haben. Darauf basierend gilt es sowohl für das eigene Handeln wie für die Systemebene, Schlussfolgerungen zu ziehen. Die geplante Evaluation der Auswirkungen – auch für den Berufsstand – für den Oktober dieses Jahres ist dafür eine wichtige Gelegenheit. Valide Daten und Informationen sind dafür von enormem Wert. Die erste und wichtigste Lehre: Wir sitzen alle in einem Boot, das Virus greift uns alle an. Weltweit.

Welche Punkte sind bei der Aufarbeitung wichtig?

KZBV:

Insbesondere die künftige nationale beziehungsweise europäische Produktion und Beschaffung von Arzneimitteln, Schutzausrüstung und Hygieneartikeln sollten gefördert werden, um die Versorgung von Praxen und Kliniken künftig schneller und gezielter sicherstellen zu können.

Die Pandemie hat ansonsten deutlich gemacht, an welchen Stellen im Gesundheitswesen es hakt und wie wichtig freiberuflich orientierte Heilberufe sind. An dieser Stelle sei allen Zahnärztinnen und Zahnärzten sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich in den Praxen während dieser schwierigen Zeit unermüdlich für die Versorgung der Patienten eingesetzt haben, noch einmal ein ausdrücklicher Dank ausgesprochen.

Deutschland ist gerade auch wegen der vielen Freiberufler und ihrer Gemeinwohlverpflichtung im Gesundheitswesen in der Krise gut aufgestellt gewesen. In Ländern, in denen die Versorgung der Menschen bereits deutlich stärker von Kommerzialisierung und Industrialisierung geprägt ist, hat es mitunter erhebliche Probleme gegeben, etwa in den USA. Hier sieht man, dass privatwirtschaftlich ausgerichtete Gesundheitssysteme nicht die qualitativ gute Patientenversorgung an die erste Stelle setzen, sondern das bestmögliche wirtschaftliche Ergebnis. Deutschland darf sich daran kein Beispiel nehmen und allein ökonomischen Vorgaben folgen! Die Bedeutung und Leistungsfähigkeit der freiberuflichen Tätigkeit von Zahnärzten und Ärzten müssen in der Gesundheitspolitik stattdessen wieder stärker ins Zentrum gerückt werden und einen angemessenen Stellenwert bekommen.

BZÄK:

Zuerst die Erkenntnis, dass die Vorratshaltung und die Vorhaltung von Strukturen auch in Nicht-Pandemiezeiten wichtig sind. Im Ernstfall sind im Gesundheitswesen „on demand“- und „just-in-time“-Lieferungen oft unmöglich und mitunter tödlich. Gesundheit kostet und wenn wir als Solidargemeinschaft unsere Standards erhalten und ausbauen wollen, müssen wir nachrüsten. Wie wir das klug anstellen und dennoch die Kosten im Blick behalten, wird eine große gemeinsame Herausforderung. Daseinsvorsorge gilt es neu zu definieren.

Spahns Initiative

Gleichzeitig müssen wir aber auch analysieren, warum der zahnärztliche Berufsstand trotz seines professionellen und verantwortungsbewussten Umgangs mit der Krise, in der politischen Wahrnehmung, aber auch bei den Unterstützungsmaßnahmen keine Rolle spielte. Die Enttäuschung der Zahnärzte ist allgegenwärtig und Ursachenforschung zwingend notwendig.

Nicht zuletzt gilt es die Folgen für die Gesundheit/Mundgesundheit der Bevölkerung und das Gesundheitssystem infolge des Verzichts auf Behandlungsmaßnahmen zu analysieren. Politische Entscheidungen dürfen nicht die medizinische Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen in Zweifel ziehen oder sogar ersetzen.

Welche Rolle spielen für Sie die Aussagen der Wissenschaft?

KZBV:

Wissenschaftlicher Diskurs und auch unterschiedliche wissenschaftliche Standpunkte – das hat die Corona-Krise gezeigt – müssen Grundlage politischer Entscheidungsfindungen sein und führen in der Regel zu besseren Ergebnissen für den Schutz und die Versorgung der Menschen.

BZÄK:

Die Wissenschaft hat in den vergangenen Monaten einen extrem aufwendigen Job gemacht. Trotzdem ist es an uns, auszuhalten, mit Unsicherheiten und Kurskorrekturen zu leben. Auch Erfahrungswissen aus dem klinischen Alltag besitzt eine hohe Bedeutung. Gleichzeitig können wir im Gesundheitswesen, aber auch auf eine breite wissenschaftliche Evidenz bauen, die zum Beispiel uns als Zahnärzten im Umgang mit der Pandemie und unseren Patienten Sicherheit gegeben hat. In unserem Fall sind es die Erfahrungen, die wir mit unseren ausgezeichneten Hygienestandards gemacht haben. Aus der Gesamtschau heraus bleibt es auch weiterhin unsere Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder neu zu bewerten, Erfahrungswissen einzubeziehen und Empfehlungen auszusprechen, die umsetzbar und der Gesamtsituation angemessen sind.

Was hat gut funktioniert und was nicht?

KZBV:

Mit dem versagten Schutzschirm für Zahnarztpraxen haben Zahnärzte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – im Vergleich zu Ärzten, Heilmittelversorgern und anderen Berufsgruppen – eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung und Herabwürdigung erfahren. Mehr noch: Unsere hervorragend funktionierenden Versorgungsstrukturen werden durch diese Regelung achtlos aufs Spiel gesetzt. Diese sind aber unabdingbar, um auch nach der Pandemie die hochqualifizierte flächendeckende zahnmedizinische Versorgung in Deutschland weiterhin zu gewährleisten. Die Bedeutung der zahnmedizinischen Versorgung als Teil der Daseinsvorsorge in Deutschland wurde auf diese Weise bagatellisiert und in erheblicher Weise diskreditiert. Diese Diskriminierung des Berufsstands muss deutlich zur Sprache gebracht werden.

Bei aller berechtigten Enttäuschung bleibt die KZBV bei diesem Thema mit der Politik aber in einem konstruktiven Dialog, insbesondere mit Blick auf die Evaluierung der Situation in den Praxen im Herbst. Es gilt jetzt, den Blick nach vorne auf professionelle Sacharbeit in den kommenden Wochen und Monaten zu richten – auch bei der geplanten Aufarbeitung der Corona-Krise.

Zahnärztinnen, Zahnärzte und ihre Praxisteams haben vom ersten Tag der Epidemie an die Versorgung der Menschen unter oft schwierigen Bedingungen aufrechterhalten. Praktisch „aus dem Stand“ hat der Berufsstand ein bundesweit flächendeckendes Netz von Behandlungszentren in 30 Kliniken und 170 Schwerpunktpraxen für die Akut- und Notfallversorgung von Patienten aufgebaut, die mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert sind oder als Verdachtsfall unter Quarantäne gestellt wurden. Die Zahnärzteschaft und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Herausforderungen der Krise bis zum heutigen Tag hoch professionell, verantwortungsbewusst und erfolgreich gemeistert.

Wichtig ist jedoch, dass der Berufsstand auch in Krisenzeiten mit einer Stimme spricht. Ebenso gab es unterschiedliche Vorstellungen einzelner Landesregierungen hinsichtlich zahnärztlicher Behandlungen, etwa in Baden-Württemberg. Die betreffenden KZVen haben durch ihre Anstrengungen aber glücklicherweise die teils abstrusen Entscheidungen der Landesregierungen korrigieren können.

BZÄK:

Zentrale Bedeutung auch für uns Zahnärzte besitzt die Informationspolitik des RKI. Mit den Bundes- und Landesregierungen und Behörden gab es generell einen zügigen und umfassenden Austausch, so dass eine schnelle und umfassende Information an die Zahnärzteschaft erfolgen konnte. Leider waren aber auch Alleingänge der Landesregierungen mit unmittelbaren Auswirkungen für die Zahnärzte zu verzeichnen, die durch einen rechtzeitigen Austausch und Nutzung der Expertise hätten verhindert werden können.

Die Kritikpunkte sind nicht neu:

  • Die Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln in der ambulanten Versorgung war nicht mehr gesichert, weil die Märkte in Asien und die Lieferketten schnell zusammengebrochen sind.

  • Die vollständige Abhängigkeit von ausländischen Märkten, auch im Bereich der Arzneimittel, sehen wir kritisch – neben Schutzausrüstung wurden auch hier lokale Engpässe gemeldet.

  • Die Ausstattung des ÖGD mit Personal und Geld war vor der Pandemie so zurückgefahren, dass sie nicht adäquat hochgefahren werden konnte.

  • Zahnärztinnen und Zahnärzte wurden nicht wie die Ärzte mit Ausfallzahlungen sondern nur mit Krediten unterstützt.

  • Leider werden auch die Potenziale der zahnärztlichen Versorgung, sei es nun bei Impfungen oder Testungen, nicht genutzt.

  • Unterschiedliche Regelungen und Verordnungen in den einzelnen Bundesländern machten nicht nur die Abgabe von zuverlässigen Empfehlungen schwierig, sondern auch die Umsetzung der Regelungsinhalte in den Praxen.

Sollten auch Ärzte und Zahnärzte an der Auswertung beteiligt werden?

KZBV:

Unbedingt. Die KZBV sammelt derzeit ohnehin schon so viele Versorgungsdaten wie möglich, um die tatsächlichen Folgen von Corona für Zahnarztpraxen exakt abbilden zu können. Diese Datengrundlage sollte in die geplante Aufarbeitung direkt einfließen. Wichtige Themen sind dabei insbesondere das Leistungsgeschehen, Nachwirkungen im Patientenverhalten und Hygienekosten. Zudem verschafft sich die KZBV Informationen darüber, ob Zahnärztinnen und Zahnärzte durch die Corona-Krise gezwungen waren, ihre Praxis zu schließen oder früher als geplant abzugeben. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, wie sich die Krise auf die Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse in den Praxen auswirkt. Welche Wirkung das Kurzarbeitergeld entfaltet. Solche Daten gehen in die Analyse der KZBV mit ein.

BZÄK:

Ja, Zahnärzte und Ärzte müssen beteiligt werden. Erfahrungswissen ist in solchen Situationen von unschätzbarem Wert, denn nur wir stehen im täglichen Kontakt mit den Patienten. Haben Kenntnis von ihren Sorgen und Nöten, aber auch den Schwierigkeiten, insbesondere den Infizierten zu helfen. Auch das Stimmungsbild und die Erkenntnisse der Praxisteams laufen bei uns zusammen. Nicht zuletzt geht es um Erkenntnisse, die die unmittelbare weitere wirtschaftliche Existenz der Praxis aufzeigen. Es wird unsere Aufgabe sein, Daten zu ermitteln, um die Argumentationen zu unterlegen. Wir haben die Erfahrung gemacht, wo Dinge gut gelaufen sind, wo wir Handlungsbedarf haben. Das können und müssen wir einbringen, ohne uns bleibt die Idee der „lessons learned“ nur eine Idee.

Antworten der Gesundheitsverbände und von Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Gesundheit auf diese Fragen finden Sie aufwww.zm-online.de.

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