Britischer Zahnarzt startet Petition

To the Prime Minister: Save NHS Dentistry!

„Retten Sie die NHS-Zahnmedizin und machen Sie sie fit für das 21. Jahrhundert!“, lautet der Appell einer Petition, die der Oralchirurg Tom Thayer aus Liverpool in Kooperation mit der British Dental Association (BDA) und der Boulevardzeitung „The Mirror“ gestartet hat. Bisher haben knapp 220.000 Bürgerinnen und Bürger die Petition unterzeichnet. Adressat ist Premierminister Rishi Sunak.

Thayer erinnert sich gut an den Moment, als er sich zu der Petition entschlossen hat. „Ich beteiligte mich an einem Survey der BDA, der unter anderem erfragte, wie oft in jüngerer Vergangenheit Fälle von Sepsis in der zahnmedizinischen Behandlung beobachtet worden seien“, erzählt er im Gespräch mit den zm. Da zu seinen Aufgaben als Oralchirurg am Liverpool University Dental Hospital die Betreuung angehender Zahnärztinnen und Zahnärzte gehört, schaute er sich deren Behandlungsdokumentationen an. „Dabei fiel mir auf, dass ziemlich viele Menschen mit Sepsis bei uns vorstellig geworden waren“, berichtet er. „Und obwohl das zu dem passte, was ich regelmäßig am Behandlungsstuhl erlebe, hat diese Erkenntnis für mich doch das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich wandte mich an die BDA und wir haben spontan die Petition aufgesetzt. Wir wollten uns Gehör verschaffen und haben daher den ‚Mirror‘ mit ins Boot geholt.“

Im Zentrum der seit Februar 2024 laufenden Petition stehen zwei Forderungen: Zum einen soll die NHS-Zahnmedizin angemessen finanziert werden, damit alle, die eine Behandlung benötigen, diese auch erhalten. Zum anderen soll ein System (wieder)aufgebaut werden, das die zahnmedizinische Prävention in den Mittelpunkt stellt. Diese Forderungen sind nicht neu. Schon seit Jahren läuft in Großbritannien eine heftige Debatte um die Unterfinanzierung der Zahnmedizin im NHS. Nach Angaben der BDA steigen immer mehr Zahnärztinnen und Zahnärzte aus ihren Verträgen mit dem Gesundheitsdienst aus, weil Behandlungen nicht ausreichend honoriert werden. In dem seit 2006 bestehenden NHS-Zahnarztvertrag (NHS Dental Contract) ist ein Festbetrag von 28 Pfund (umgerechnet 32,60 Euro) für eine sogenannte „Unit of Dental Activity“ festgelegt, unabhängig davon, so die BDA, ob es sich um eine einfache Füllung oder eine Reihe komplizierter Behandlungen handelt. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte entschieden sich daher für die Arbeit in Privatpraxen. Eine Folge davon: In einigen unterversorgten Gebieten Englands wird laut dem Fachmagazin „Health Service Journal“ fast ein Drittel des bewilligten NHS-Budgets für zahnärztliche Leistungen nicht ausgeschöpft. Es fehlt schlicht an Kapazitäten.

Im Wahlkampf hatte der jetzige Premierminister Rishi Sunak versprochen, die NHS-Zahnmedizin aus der Krise zu holen. Im Februar 2024 kündigte die Regierung einen „Recovery Plan“ an, für den sie – zusätzlich zu den drei Milliarden Pfund (circa 3,5 Milliarden Euro), die jährlich für zahnmedizinische Leistungen im NHS vorgesehen sind – 200 Millionen Pfund (circa 233,5 Millionen Euro) investieren werde. Aus diesem Extrabudget sollen Zahnärztinnen und Zahnärzte mit NHS-Vertrag 15 Pfund (circa 17,50 Euro) zusätzlich zur Standardvergütung von 28 Pfund erhalten, wenn sie Patientinnen und Patienten annehmen, die seit zwei Jahren keine Praxis mehr aufgesucht haben. Für komplexe Behandlungen soll es einen Aufschlag von bis zu 50 Pfund (circa 58,30 Euro) geben. Wer drei Jahre lang in Regionen mit einem schlechten Zugang zur NHS-Versorgung – den „Dental Deserts“ – praktiziert, kann außerdem einen Bonus von 20.000 Pfund (circa 23.345 Euro) erhalten. Die Prämie kann maximal 240-mal in Anspruch genommen werden. Für die BDA reichen diese Maßnahmen nicht aus, um die Abkehr von Zahnärztinnen und Zahnärzten aus dem NHS aufzuhalten. Die Berufsorganisation fordert, den NHS Dental Contract grundlegend neu zu verhandeln und deutlich mehr Geld in die NHS-Zahnmedizin zu investieren. Auch um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat sie sich die BDA an der Petition beteiligt.

„Die Krankheitslast ist so nicht zu bewältigen“

Thayer geht ebenfalls davon aus, dass der „Recovery Plan“ der Regierung zu wenige seiner Kolleginnen und Kollegen dazu bewegen wird, im NHS zu bleiben oder zurückzukehren. Er erwartet vielmehr, dass sich die Krise weiter verschärft. „Wir haben meiner Meinung nach einen Punkt erreicht, an dem die Krankheitslast mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr zu bewältigen ist. Ich nenne das Krankheits-Inflation“, sagt er gegenüber den zm. „Es bedeutet, dass wir die Patientinnen und Patienten nicht mehr schnell genug durch das System schleusen können mit der Folge, dass die Leute mehrere Jahre nicht zum Zahnarzt gehen und dann mit noch größeren Problemen in die Klinik kommen.“ Schon jetzt sei die Zahl von Do-It-Yourself-Zahnbehandlungen sehr hoch. Viele Menschen extrahierten sich Zähne selbst oder versorgten sich mit „hausgemachten“ Füllungen. Mehr als acht von zehn Zahnärztinnen und Zahnärzten in Großbritannien haben laut BDA schon die Folgen solcher DIY-Maßnahmen behandelt.

Die Krise der NHS-Zahnmedizin hat für Thayer, der seit den 1980er-Jahren praktiziert, circa 2010 Fahrt aufgenommen. „In Großbritannien hatten wir immer ein Gesundheitssystem, das mit minimalen Investitionen effizient funktionierte. Und bis zum Jahr 2010 haben wir auch durchaus noch Erfolge bei der Verbesserung der Zahngesundheit in der Bevölkerung erzielt“, so der 65-Jährige. „Nach der internationalen Finanzkrise und infolge der Corona-Pandemie haben sich aber schließlich die Risse im System offenbart.“ Jetzt, nur wenige Jahre später, erlebten Zahnärztinnen und Zahnärzte in Großbritannien tagtäglich Szenen, die ins viktorianische Zeitalter gehörten, mahnt Thayer in der Petition und fügt an: „Das muss nicht sein. Wir sind doch eine wohlhabende Nation des 21. Jahrhunderts.“

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