Sie wurden erfolgreich abgemeldet!

Gesundheitssysteme weltweit – Schweden

Der Staat bezahlt – aber nicht den Zahnarzt

sth
Politik
Schweden setzt auf eine zentrale Patientensteuerung und digitale Services. Versicherte müssen lange Wartezeiten hinnehmen, zahlen für die meisten Behandlungen jedoch nur wenig dazu. Eine Ausnahme sind Behandlungen beim Zahnarzt. Für sie müssen die Menschen vergleichsweise tief in die Tasche greifen. Für viel Diskussion sorgt die geplante Reform der zahnmedizinischen Versorgung.

Ausgaben für das Gesundheitssystem

Im Jahr 2023 gab Schweden nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts 59,832 Milliarden Euro für die Gesundheitsversorgung aus. Laut dem aktuellen Länderbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bewegt sich das Ausgabenniveau Schwedens leicht über dem EU-Durchschnitt: Bereinigt um Kaufkraftunterschiede beliefen sich die Pro-Kopf-Ausgaben 2021 auf 4.200 Euro gegenüber 4.028 Euro im EU-Schnitt.

Zahnmedizin in Schweden

  • Bevölkerung: 10,5 Millionen

  • Nach Angaben der schwedischen Zahn- und Arzneimittelbehörde (TLV) gibt es aktuell etwa 830 öffentlich getragene Folktandvård-Kliniken sowie rund 1.700 private Anbieter mit rund 2.800 Praxen.

  • Laut Statistischem Zentralamt gab es in Schweden 2021 insgesamt 8.042 praktizierende Zahnärztinnen und Zahnärzte, davon arbeiteten 3.909 in privater Praxis. Von den praktizierenden 1.003 Fachzahnärzten waren 262 in privater Praxis tätig. Außerdem gab es 4.265 Dentalhygienikerinnen und 10.500 Zahnmedizinische Fachangestellte.

  • Für zahnmedizinische Behandlungen wurden 2021 insgesamt knapp 31,5 Milliarden Kronen (2,87 Milliarden Euro) ausgegeben. Den Großteil in Höhe von 18 Milliarden Kronen (1,64 Milliarden Euro) zahlten die Patienten selbst. Auf den Staat entfielen etwas mehr als 5,5 Milliarden Kronen (505 Millionen Euro) im Zuge der zahnärztlichen Beihilfe, auf die Regionen etwas mehr als 7,5 Milliarden Kronen (683,2 Millionen Euro).

Organisation des Gesundheitssystems

Das System basiert auf drei Säulen: Die nationale Regierung ist für die gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die Regulierung und Kontrolle der Leistungen zuständig. Die 21 Regionen verantworten die Finanzierung und Erbringung der Leistungen in ihrem Einzugsgebiet. Sie überwachen zudem die primäre, fachärztliche und psychiatrische Gesundheitsversorgung. Die dritte Säule sind die 290 Gemeinden. Sie tragen Sorge für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen, Rehabilitationsleistungen, häusliche Pflege, Altenpflege und die schulische Gesundheitsversorgung.

Zugang zur Gesundheitsversorgung

Alle Schweden haben Zugang zu einer größtenteils öffentlich finanzierten Gesundheitsversorgung, die über die Sozialversicherungsbehörde abgerechnet wird. Es gibt lange Wartezeiten, insbesondere in der fachärztlichen Versorgung oder bei Operationen. Die sogenannte 3-90-90-Tage-Regelung soll dies verhindern. Sie besagt, dass eine hausärztliche Versorgung innerhalb von drei Tagen, eine fachärztliche innerhalb von 90 Tagen und eine sich anschließende Operation ebenfalls innerhalb von 90 Tagen möglich sein soll. Oft gelingt dies aber nicht.

Leistungen

Grundsätzlich eingeschlossen sind die Notfallversorgung, ambulante und stationäre Behandlungen, die medizinische Grundversorgung und Prävention (zum Beispiel Krebsvorsorge, Impfungen, Mutterschaftsvorsorge), die psychische Gesundheitsfürsorge, Rehabilitationsmaßnahmen und zahnmedizinische Behandlungen für Kinder und Jugendliche. Für wichtige Impfungen werden keine zusätzlichen Kosten berechnet. Das gilt auch für bestimmte Vorsorgeleistungen wie die Mammografie bei Frauen über 40 Jahre.

Finanzierung

Die meisten Gesundheitsleistungen können entweder kostenlos oder gegen eine geringe Zuzahlung in Anspruch genommen werden. Finanziert wird das System zum Großteil aus Steuern. Im Jahr 2021 deckten öffentliche Mittel 86 Prozent der Gesundheitsausgaben ab (EU-Durchschnitt: 81 Prozent). Die freiwillige Krankenversicherung spielt mit einem Anteil von 1 Prozent an den gesamten Gesundheitsausgaben nur eine sehr kleine Rolle und wird meist als Zusatzversicherung über den Arbeitgeber abgeschlossen. Im von langen Wartezeiten geprägten schwedischen Gesundheitssystem ermöglicht sie unter Umständen einen schnelleren Zugang zur Versorgung.

Etwa 13 Prozent der Gesundheitsausgaben im Jahr 2021 wurden laut OECD-Länderbericht aus eigener Tasche finanziert (EU-Durchschnitt: 14,5 Prozent). Dazu gehören Zuzahlungsgebühren, die die Regionen für ambulante Behandlungen, Facharztbesuche und Krankenhausaufenthalte festlegen (aktuell etwa 15 Euro für den Hausarzt, 30 Euro für den Facharzt, 40 Euro für die Notaufnahme). Für Zusatzsätze gelten Höchstbeträge pro Person und Jahr (zurzeit etwa 104 Euro). Alles, was darüber liegt, zahlt die öffentliche Hand.

Patientensteuerung und Digitalisierung

Schweden setzt sehr stark auf eine zentrale Lenkung der Patientenströme. Die Zuzahlungsregeln der Regionen bieten beispielsweise Anreize, statt dem Krankenhaus zunächst einen Primärversorger aufzusuchen. In ambulanten Gesundheitszentren und in Kliniken findet außerdem eine Triage statt, die über die weitere Versorgung entscheidet.

Das Land hat 2006 damit begonnen, eine E-Health-Strategie zu implementieren. Schon etwas länger gibt es das Gesundheitsportal „1177“, eine zentrale Anlaufstelle für Informationen und Dienstleistungen. Telefonisch und online steht jederzeit medizinisches Fachpersonal zur Verfügung. Alle registrierten Einwohner können sich mit ihrer staatlichen Identifikationsnummer anmelden, um Gesundheitsfragen zu klären, nach Vorsorgeangeboten zu suchen, Termine zu vereinbaren oder sich per Video-Call beraten zu lassen. Auch das Abrufen von E-Rezepten und die Verwaltung der elektronischen Patientenakte sind möglich.

Zahnmedizinische Versorgung

Zahnärztliche Praxen oder Kliniken werden sowohl von den Regionen als auch von privaten Anbietern betrieben, die Versicherten können frei wählen. Sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Zahnmedizin gilt die freie Preisgestaltung. Die öffentliche Zahnmedizin muss sich jedoch an Referenzpreisen orientieren, die in der Regel durch die Regionalräte festgelegt werden.

Wer bezahlt Zahnbehandlungen?

Vergleichsweise hohe Zuzahlungen sind die Regel. Davon ausgenommen sind Kinder und junge Erwachsene. Bis zu dem Jahr, in dem sie 20 Jahre alt werden, haben sie Anspruch auf kostenlose Zahnbehandlungen. Danach gewährt der Staat nur noch eine geringe staatliche Beihilfe:

  1. Die allgemeine Zahnbeihilfe wird allen Erwachsenen am ersten Juli jedes Jahres zugeteilt. Die Höhe der Beihilfe ist altersabhängig und beträgt 300 oder 600 Kronen (circa 27 oder 54 Euro) pro Jahr und Person. Sie kann unter anderem für regelmäßige Kontrolluntersuchungen und die Inanspruchnahme präventiver Maßnahmen genutzt werden. Nimmt man sie in Anspruch, zieht der Zahnarzt oder die Zahnärztin den Betrag von der Rechnung ab.

  2. Bis zu einer Summe von 3.000 Kronen (372 Euro) pro Jahr müssen Patientinnen und Patienten ihre Zahnbehandlungen selbst zahlen. Der Hochkostenschutz setzt ein, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten zahnärztliche Maßnahmen erhalten, die teurer sind. Bei Behandlungen, die zwischen 3.000 und 15.000 Kronen (1.366 Euro) liegen, wird eine Beihilfe von 50 Prozent gewährt, Kosten darüber werden zu 85 Prozent vom Staat erstattet.

  3. Der besondere zahnärztliche Zuschuss richtet sich an Personen, die an einer Krankheit oder Behinderung leiden, die die Mundgesundheit beeinträchtigen kann. Für sie beträgt der Zuschuss 600 Kronen pro Halbjahr.


Die geplante Reform „Tiotandvård"

Zum 1. Januar 2026 hat die schwedische Regierung Änderungen im Finanzierungssystem der zahnmedizinischen Versorgung angekündigt. Eine Reform mit dem Titel „Tiotandvård“ zielt darauf ab, die Eigenkosten für Menschen ab 67 Jahren zu senken. Das Parlament stimmt im Dezember über den Vorschlag ab.

Laut Tiotandvård zahlen Ältere künftig nur noch zehn Prozent des Referenzpreises für zahnärztliche Behandlungen, 90 Prozent trägt der Staat. Die Zahnärztekammer rechnet mit erheblichen finanziellen Folgen. „Es wird erwartet, dass die Reform die Regierung jährlich zwischen 3,4 und 4,5 Milliarden Kronen (310 bis 409,5 Millionen Euro) kosten wird“, teilte die Kammer mit.

Was die Zahnärzteschaft kritisiert

Zwar sei das Ziel, die Erschwinglichkeit zahnmedizinischer Behandlungen für finanziell Schwächere zu verbessern, lobenswert – die Reform berge jedoch einige Risiken, kommentierte der Verband die Pläne. „Unsere Hauptbedenken sind, dass Ressourcen fehlgeleitet werden könnten zugunsten gesunder Senioren, während Personen mit größeren zahnmedizinischen Bedürfnissen vernachlässigt werden“, so eine Sprecherin des Verbands. „Wir haben die Regierung auch davor gewarnt, dass die Reform zu mehr Bürokratie und geringeren Einnahmen für Zahnarztpraxen führen könnte – was die Versorgungsqualität beeinträchtigen [...] könnte.“

Ebenfalls zu bedenken sei, dass etwa 80 Prozent der zahnärztlichen Versorgung in Schweden von Privatpraxen erbracht werden. Die Einführung der Preisregulierung stelle ein erhebliches Risiko für die finanzielle Tragfähigkeit dieser Praxen dar, da man die derzeitigen Referenzpreise im Vergleich zu den tatsächlichen Kosten der Behandlung zu niedrig angesetzt habe. „Unter einem regulierten Preismodell könnten viele Zahnärzte es wirtschaftlich für nicht tragbar halten, ihre Praxen weiterzuführen“, erklärte die Sprecherin.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.