KKH Kaufmännische Krankenkasse

Zahl der Essstörungen bei jungen Mädchen extrem gestiegen

LL
Gesellschaft
Eine Datenauswertung der KKH Kaufmännische Krankenkasse zeigt, wie stark die Fälle von Magersucht, Bulimie und Binge Eating bei den 12- bis 17-jährigen Mädchen zugenommen haben: Von 2019 bis 2023 um fast 50 Prozent.

In keiner anderen Alters- und Geschlechtergruppe war der Anstieg innerhalb des Zeitraums derart groß, schreibt die Krankenversicherung in der Präsentation der Ergebnisse. Zum Vergleich: Bei den gleichaltrigen Jungen stieg die Zahl der Betroffenen im selben Zeitraum um nur vier Prozent. Die bundesweite Fallzahl von Betroffenen belief sich auf gut neun Prozent. Das bedeutet laut Hochrechnung, dass Ärzte im jüngsten Auswertungsjahr 2023 bei fast 460.000 Menschen in Deutschland eine Essstörung diagnostizierten. 7,5 Prozent davon waren Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren.

Beauty-Polizei auf Social Media erfindet vermeintliche Makel

Die KKH nennt Social Media-Plattformen und die dort immer massiver propagierten Schönheitsideale als eindeutige Ursache für die gesundheitsgefährdende Entwicklung bei Mädchen. In zahllosen TikTok- und Youtube-Videos erzählten schlanke, schöne Frauen von ihrer Reise zum Idealkörper, dokumentierten, wie sie ihre Morgen- und Abendroutinen mit gesunder Ernährung, Achtsamkeitspraktiken und viel Sport optimieren, um zur perfekten Version ihrer selbst zu werden. Wie eine virtuelle „Beauty-Polizei“ würden immer neue, vermeintliche Schönheitsmakel angeprangert  – etwa zu runde, volle Gesichter (‚Cortisol Face‘) oder übergewichtige große Zehen (‚Toebesity‘).

Was für viele Menschen völlig absurd klingt, setzt vor allem pubertierende Mädchen unter Druck, so der Versicherer. Das dortige ideale Frauenbild: dünn, normschön und erfolgreich. Das löse erheblichen Druck aus. „In einer Lebensphase, in der die eigene Identität noch nicht gefestigt und das Selbstwertgefühl oft nur schwach ausgeprägt ist, können solche übersteigerten Ansprüche an das eigene Aussehen zu einer großen Belastung werden. Je intensiver die Nutzung sozialer Medien ist, desto größer ist auch das Risiko für eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und damit verbundene Essstörungen“, erläutert KKH-Psychologin Franziska Klemm.

Gefühlte Nahbarkeit von Influencerinnen verschärft das Problem

Besonders anfällig seien Mädchen, denn sie würden durch solche Videos nicht nur direkt angesprochen, sondern beschäftigten sich auch mehr mit sich selbst als Jungen. So vergleichen sie sich viel häufiger in sozialen Medien, spüren einen höheren Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen und sind empfindsamer für Kontrollverluste.

Vielen Heranwachsenden ist zudem gar nicht bewusst, dass das Leben auf Social Media in der Regel inszeniert und somit alles andere als alltagstauglich ist, erklärt Klemm. Besonders tückisch: Während Stars wie Supermodels oder Hollywood-Schauspieler ohnehin unerreichbar scheinen, herrsche in sozialen Medien eine gewisse Nahbarkeit. Das erwecke den Eindruck, als sei es durchaus möglich, denselben Lifestyle zu leben wie viele Influencerinnen.

Die Förderung eines positiven Selbstbildes kann vor Essstörungen schützen

Doch wie gelingt es Jugendlichen, realitätsferne Schönheitsideale richtig einzuordnen, resilienter zu werden und zufriedener mit sich selbst zu sein, hat sich die KKH gefragt. „Aufklärung allein hilft da nicht“, sagt Klemm. „Wirksamer ist es, in der Prävention den Fokus auf die Förderung eines positiven Selbstbildes zu legen, auf den kritischen Umgang mit Schönheitsidealen, die Stärkung eines guten Miteinanders und individueller Bewältigungskompetenzen. Das alles schützt nachweislich vor der Entwicklung einer Essstörung.“

Kastentitel

Basis für die Auswertung nach ICD-10 (F50) sind anonymisierte Daten von KKH-Versicherten aus den Jahren 2019 bis 2023. Der Anteil der betroffenen KKH-Versicherten im Jahr 2023 wurde auf die deutsche Bevölkerung hochgerechnet. Experten unterscheiden unter dem Code F50 drei Hauptformen von Essstörungen:

  • die Magersucht (Anorexia nervosa), bei der Menschen bis hin zu einem lebensbedrohlichen Untergewicht hungern ‒ getrieben von der Angst vor einem zu dicken Körper,

  • die Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa), bei der Betroffene einen starken Zwang verspüren, ihr Körpergewicht zu kontrollieren und nach Essattacken erbrechen oder Abführmittel missbrauchen, um nicht zuzunehmen,

  • die Binge-Eating-Störung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essattacken einhergeht und zu starkem Übergewicht oder gar Adipositas führt.

Mit rund 1,5 Millionen Versicherten war die KKH Kaufmännische Krankenkasse Anfang 2025 bundesweit die zwölftgrößte Krankenkasse.

Wichtig sei zudem, dass sich Jugendliche der Diskrepanz zwischen geschönten Online-Darstellungen und der Realität bewusst würden. „Ganz konkret heißt das, rauszugehen und zu schauen, wie die Menschen wirklich sind“, sagt die Expertin. Eine weitere Strategie sei ein sensiblerer Umgang mit sozialen Netzwerken, sprich weniger Zeit mit TikTok & Co. zu verbringen, Social-Media-Pausen einzulegen und gezielt Influencerinnen oder Inhalten zu folgen, die gut tun. Hilfreich könne auch die gegenseitige Unterstützung im Freundeskreis sein, also sich gegenseitig bewusst Komplimente auszusprechen oder sich gemeinsam über absurde Inhalte – wie übergewichtige Zehen – lustig zu machen.

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