Ärzteschaft sieht Rote Linie überschritten
Mit großer Sorge blickten die Ärztinnen und Ärzte auf die Pläne, „… Apotheken künftig mit Aufgaben zu betrauen, die einer ärztlichen Qualifikation zwingend bedürfen. Die vorgesehene Möglichkeit, verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgeben zu können – sei es bei Folgerezepten für chronisch erkrankte Menschen oder bei vermeintlich „unkomplizierten Erkrankungen“ – überschreitet aus unserer Sicht eine rote Linie“, heißt in einem Freitag übersendeten Brief der Standesorganisationen und ärztlichen Verbände an die Bundesgesundheitsministerin.
Das „bewährte Vier-Augen-Prinzip“ – Ärzte diagnostizieren und verschreiben, Apotheker prüfen und geben Arzneimittel ab – sei ein zentrales Qualitätsmerkmal der Patientenversorgung. Würde es aufgeweicht, drohten fehlerhafte und damit gefährliche Arzneimitteltherapien, eine riskante Fragmentierung der Versorgung und ein Verlust an Patientensicherheit. Apotheker am Tresen könnten nicht zuverlässig erkennen, ob etwa ein vermeintlich unkomplizierter Harnwegsinfekt nicht doch einen komplizierten Verlauf nimmt oder eine andere ernsthafte Erkrankung dahintersteckt. Sie verfügten nicht über die notwendige fachliche Qualifikation, eine solche Einschätzung vorzunehmen.
„Wenn alle verantwortlich sind, übernimmt schlussendlich keiner die Verantwortung!“
Die Vorstellung, Arztpraxen würden auf diese Weise entlastet, greife ins Leere, während gleichzeitig die Koordinierungsfunktion der Ärzte im Rahmen eines geplanten Primärarztsystems konterkariert würde, schreiben die Mediziner in dem Brief. Es entstünden Doppelstrukturen, die mehr Bürokratie als Entlastung schaffen. Gerade chronisch kranke Menschen profitierten von kontinuierlicher ärztlicher Begleitung bei der Arzneimittelverordnung.
Ähnliches gelte für die geplante Ausweitung der Impf- und Diagnostikleistungen in Apotheken. Grippe- und Corona-Schutzimpfungen würden derzeit in Apotheken in relevantem Umfang weder angeboten noch nachgefragt. „Wenn alle verantwortlich sind, übernimmt schlussendlich keiner die Verantwortung“, heißt es in dem Brief.
Auch die Einführung von Früherkennungsuntersuchungen und Screeningtests in Apotheken sehen die Ärzte mit großer Skepsis: „Derartige Angebote erzeugen das Risiko einer Vielzahl falsch-positiver und nicht aussagekräftiger Befunde mit dem Ergebnis großer Verunsicherung auf Patientenseite. Damit einher ginge ein erheblicher diagnostischer Nachbearbeitungsaufwand mit steigenden Kosten für das Gesundheitssystem und eine Belastung von wertvollen fachärztlichen Ressourcen. Eine verantwortungsvolle Ausweitung solcher Leistungen muss zwingend an den Nachweis geknüpft sein, dass die eingesetzten Verfahren einen klar belegten Nutzen für Patientinnen und Patienten haben sowie gesundheitsökonomisch sinnvoll sind."
Der nachvollziehbare Wille zur Stärkung der Apotheken dürfe nicht dazu führen, dass Aufgaben an Apotheken ausgelagert werden, die originär ärztliche Qualifikationen erfordern, stellt die Ärzteschaft in dem Schreiben klar. „Arztpraxen und Apotheken sind Partner zum Wohle der Patientinnen und Patienten – aber in klar definierten Rollen entsprechend ihrer Qualifikationen, die gemeinsam höchste Patientensicherheit und Versorgungsqualität gewährleisten“.
Unterzeichnet ist der Brief vom Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e.V. (BDI), dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V. (BVKJ), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesärztekammer (BÄK), dem Marburger Bund, dem Hartmannbund, dem Virchowbund und dem Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa).