DMS • 6 im Detail: Teil 2 – Parodontitis

Die neue Klassifikation bei Parodontalerkrankungen

Heftarchiv Zahnmedizin
A. Rainer Jordan
Im zweiten Teil unserer Reihe zur Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS • 6) geht es um den Schwerpunkt Parodontalerkrankungen. Das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) stellt die wichtigsten Studienergebnisse vor.

Parodontalerkrankungen stellen die sechsthäufigste chronische Erkrankung der Menschheit dar und sind neben der Zahnkaries die prävalenteste Erkrankung der Mundhöhle. Zu ihrer epidemiologischen Beschreibung stehen verschiedene Indizes zur Verfügung, die auf unterschiedlichen Maßzahlen beruhen. Mit der neuen Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen wurde im Jahr 2018 der Versuch unternommen, ein international einheitliches System zu schaffen, mit dem die verschiedenen parodontalen Erkrankungen, von der parodontalen Gesundheit über die behandelte oder unbehandelte chronische Parodontitis bis hin zur Periimplantitis, beschrieben werden können. Mit dieser Klassifikation wird erstmalig systematisch ein mehrdimensionales Klassifikationssystem in der Zahnmedizin eingeführt, das sowohl den Schweregrad (Staging) der Erkrankung als auch die Progressionswahrscheinlichkeit (Grading) miteinander kombiniert und so sowohl dem therapeutischen Konzept Rechnung trägt als auch die Nachsorge berücksichtigt.

Die DMS • 6 hat erstmalig in einem prospektiven Studiendesign diese neue Klassifikation für epidemiologische Zwecke eingesetzt – und das sind die Ergebnisse:

Parodontitis-Schweregrade bei jüngeren Erwachsenen (Staging)

Knapp vier Prozent der jüngeren Erwachsenen in Deutschland im Alter von 35 bis 44 Jahren sind nach der neuen Klassifikation parodontal gesund und weitere 0,5 Prozent weisen lediglich eine Zahnfleischentzündung (Gingivitis) auf. Abgesehen von wenigen jüngeren Erwachsenen, die zahnlos oder nicht klassifizierbar sind, weisen 95 Prozent der jüngeren Erwachsenen eine Parodontitis auf. Schwere Parodontitis (Stadium III und IV) kommt bei 18 Prozent der 35- bis 44-Jährigen vor, davon fallen 14 Prozent auf das Stadium III mit dem Potenzial des weiteren Zahnverlusts und bei knapp 4 Prozent besteht gar die Gefahr des Verlusts der ganzen Dentition (Stadium IV). Eine moderate Parodontitis (Stadium II) weist knapp die Hälfte der jüngeren Erwachsenen auf und fast ein Drittel eine initiale Stadium-I-Parodontitis. Die Ergebnisse überraschen, denn Parodontitis ist eine altersassoziierte Erkrankung und das junge Erwachsenenalter ist ein Lebensabschnitt, in dem chronische Verlaufsformen erst beginnen (sollten). Dennoch sind 95 Prozent der Menschen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt.

Parodontitis-Therapie bei ­jüngeren Erwachsenen in der GKV

Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Klassifikation, die vor allem auf der Grundlage von Attachmentverlusten beruht, wird eine Behandlungsindikation für die gesetzliche Krankenversicherung weiterhin auf der Grundlage von Sondierungstiefen getroffen. Ausschlaggebend ist die Sondierungstiefe ≥ 4 Millimeter. Legt man diese Schwelle zugrunde, verschiebt sich der Anteil der behandlungsbedürftigen Parodontitisfälle und es verbleiben 73 Prozent (statt 95 Prozent) der jüngeren Erwachsenen für eine Parodontitis-Therapie. Etwa die Hälfte der Stadium-I-Parodontitis weist nach GKV-Richtlinien keine Indikation für eine Parodontitis-Therapie auf, knapp 20 Prozent der Stadium-II-Parodontitis.

Parodontitis-Progression bei jüngeren Erwachsenen (Grading)

Neben der Stadieneinteilung (Staging) erlaubt die neue Klassifikation auch eine datenbasierte Einschätzung der Progressionswahrscheinlichkeit. Grundsätzlich wird von einer moderaten Progressionsrate (Grad B) ausgegangen. Bei bisher langsamer Erkrankungsaktivität und fehlenden Modifikatoren wie weder Diabetes noch Rauchen wird eine langsame Progression (Grad A) erwartet, im gegensätzlichen Fall eine rasche Progression (Grad C). Das Grading bestimmt, wie die Intervalle der unterstützenden Parodontitis-Therapie (UPT) zu wählen sind. Eine moderate Progression wird bei 73 Prozent der jüngeren Erwachsenen erwartet und dementsprechend ist eine UPT im Kalenderhalbjahr vorgesehen. Eine geringe Progressionswahrscheinlichkeit liegt bei 6 Prozent der 35- bis 44-Jährigen vor; dies impliziert eine UPT im Kalenderjahr. Bei 22 Prozent ist eine rasche Progression zu erwarten; das bedeutet eine UPT im Kalendertertial.

Schweregrade bei jüngeren Seniorinnen und Senioren (Staging)

Auch die Verbreitung der Parodontitis bei den jüngeren Seniorinnen und Senioren überrascht. Wegen der Altersabhängigkeit der Erkrankung würde man erwarten, dass zu diesem Zeitpunkt mehr Menschen parodontal erkrankt sind als im Erwachsenenalter. Nach der neuen Klassifikation sind dies aber etwa zehn Prozentpunkte weniger als bei den jüngeren Erwachsenen, nämlich 85 Prozent. Bei einem Viertel liegt eine schwere Parodontitis vor mit dem Potenzial des weiteren Zahnverlusts (Stadium III), ein weiteres Viertel der jüngeren Seniorinnen und Senioren könnte alle Zähne infolge der Parodontitis verlieren (Stadium IV). Ein Viertel zeigt Anzeichen einer moderaten Stadium-II-Parodontitis und nur bei 8 Prozent liegt in diesem Alter eine initiale Form vor. Parodontal gesunde Verhältnisse oder lediglich Gingivitis-Erkrankungen ohne weitere parodontale Beteiligung kommt in diesem Alter nicht mehr vor. Allerdings können nach den Kautelen der wissenschaftlichen Klassifikation knapp 10 Prozent nicht klassifiziert werden. Dies kommt beispielsweise dann vor, wenn die Zähne überkront sind. In diesem Zustand ist ein Attachmentverlust wegen der nicht mehr ausmachbaren Schmelz-Zement-Grenze schlecht bestimmbar, sodass in diesem Fall lediglich Sondierungstiefen gemessen werden können.

Therapie bei jüngeren Seniorinnen und Senioren in der GKV

Diese Personen lassen sich nach der neuen Klassifikation nicht in die Schweregrade einteilen. So ist auch zu erklären, dass die Prävalenz gemäß der wissenschaftlichen Klassifikation bei den 65- bis 74-Jährigen vermeintlich geringer ist als in der Erwachsenengruppe. Sondierungstiefen lassen sich allerdings messen und so können diese Personen nach GKV-Richtlinien eingestuft werden. Etwa zwei Drittel der wissenschaftlich nicht klassifizierbaren Menschen haben dennoch eine Parodontitis und Anspruch auf eine Therapie. Beim Stadium I sind in dieser Altersgruppe 63 Prozent behandlungsbedürftig und in Stadium II 91 Prozent, sodass insgesamt 86 Prozent der jüngeren Seniorinnen und Senioren eine GKV-Indikation für eine Parodontitis-Therapie aufweisen.

Progression bei jüngeren Seniorinnen und Senioren (Grading)

Bei den jüngeren Seniorinnen und Senioren ist in 74 Prozent der Fälle von einer moderaten Progression auszugehen, bei 17 Prozent wird eine rasche Progression erwartet und 9 Prozent wurden einer langsamen Progressionswahrscheinlichkeit zugerechnet mit den entsprechenden Auswirkungen auf das UPT-Intervall.

Über beide Altersgruppen zeigte sich, dass in etwa drei Vierteln der Parodontitis-Fälle mit einer moderaten Progression zu rechnen ist. Dies führt in der GKV zu einem kalenderhalbjährlichen UPT-Intervall.

Gründe für Zahnerhalt

Der langfristige Vergleich der epidemiologischen Daten aus den Deutschen Mundgesundheitsstudien ermöglicht in statistischen Analyseverfahren, Gründe für den langfristigen Zahnerhalt auszumachen. Diese Analysen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; dennoch zeigen sie, welche Eigenschaften über einen längeren Zeitraum Zahnerhalt fördern. Beim Vergleich der Kohorten aus der Vierten und der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie von 2005 und 2014 sowie der aktuellen DMS lässt sich zeigen, dass man von zwei großen Eigenschaftsbereichen ausgehen kann, die Zahnerhalt auch bei Vorhandensein einer Parodontitis begünstigen: Verhalten und Bildung.

Indizien bei der Mundhygiene sind einerseits die Verwendung einer elektrischen Zahnbürste sowie die Durchführung einer regelmäßigen Zahnzwischenraumreinigung, insgesamt also vermutlich eine systematische und wirksame häusliche Biofilmkontrolle. Daneben hat sich herausgestellt, dass die Vermeidung des Rauchens und eine hohe Schulbildung günstige Faktoren sind, lange Zeit die eigenen Zähne zu behalten.

Die DMS • 6 im Detail – alle Folgen

Bereits erschienen: Teil 1 – Karies: zm 8/2025

Weitere Folgen:

  • Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH): zm 10/2025

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen: zm 11/2025

  • Migration: zm 12/2025

  • Zahnverlust: zm 13/2025

Fazit

Zum ersten Mal wurde die 2018 eingeführte Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen in einer bevölkerungsweiten epidemiologischen Studie angewendet. Dabei stellte sich ein sehr hoher Verbreitungsgrad der Parodontitis in allen Altersgruppen heraus. Nicht alle Personen sind jedoch im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung behandlungsbedürftig.

Prof. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ)

Prof. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan

Wissenschaftlicher Direktor
Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)
Universitätsstr. 73, 50931 Köln

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