Auf den Schultern von Riesen
Prof. Dr. Elisabeth Bennion ist so eine Riesin. „Ihr“ Unterkiefer (der abgebildete aus ihrer Sammlung) steht pars pro toto für die engagierten Forscherinnen, die (heimlichen) akribischen Sammler und alle weiteren Geschichte(n)-der-Zahnheilkunde-Bewahrerinnen. Und dass er nach seiner kleinen Odyssee durch engagierte Liebhaber-Hände ins Dentalmuseum gelangt ist, macht ihn – als Studienobjekt dieser renommierten Forscherin – zum Zschadraß’schen Highlight.
Bennion (1951–2018) widmete ihr Berufsleben der Geschichte der Medizin – als Gutachterin für das Auktionshaus Sotheby’s für den Bereich medizinische und zahnmedizinische Instrumente. In den Archiven der Welt sortierte sie das Material und hievte ihr Wissen in zwei kanonische Nachschlagewerke. 1979 erschien „Antique Medical Instruments“ bei der Sotheby’s Publication London – im selben Jahr die deutsche Ausgabe „Alte medizinische Instrumente“ im Parkland Verlag Stuttgart – und 1986 folgte „Antique Dental Instruments“ ebenda. Museumsdirektor Andreas Haesler gewichtet beide „aus eigener Erfahrung“ als Standardwerke, „sicherlich weltweit“.
Auch dieses Werk wurde übersetzt und 1988 über den Deutschen Ärzte-Verlag herausgegeben von den (Dental-)Historikern Prof. Dr. Marielene Putscher und Dr. Ulrich Lohse. Der Umschlag verrät: „Alte zahnärztliche Instrumente gibt nicht nur einen Überblick über die unvergänglichen Zeugen zahnärztlichen Wirkens, sondern gleichsam auch eine Kulturgeschichte der Zahnheilkunde. Die oft zu Unrecht als Scharlatane verschrienen Zahnzieher vergangener Zeiten erwiesen sich bei genauerem Betrachten in der Mehrzahl als wahre Künstler ihres Faches, die den heutigen Zahnärzten in nichts nachgestanden haben. Dabei mussten die damaligen Zahnzieher ohne die Segnungen moderner Anästhesie auskommen – ebenso wie ihre Patienten.“
Putscher war von 1985 bis 1995 Leiterin der „Forschungsstelle für Geschichte und Zeitgeschichte der Zahnheilkunde“, Lohse begründete 1987 den „Arbeitskreis für Geschichte der Zahnheilkunde“. Und wo ist der Zusammenhang zur Geschichte des Unterkiefers? Eingeladen zur Gründung dieses Arbeitskreises war auch Dr. Klaus Simon, ebenfalls Historiker und Sammler von Dentalia. Simon wiederum kam in London in Kontakt mit Bennion. Für Haesler ein dental-romantischer Moment: „Man kann sich gut vorstellen, weil beide ein gleiches Interessengebiet haben, wie die Funken hochgeschlagen sind.“ Jedenfalls erwarb Simon auf einer Antikmesse einige Sammlungsstücke und bekam obendrein diesen Unterkiefer aus der persönlichen Sammlung von Bennion überreicht.
Und als Simon vor vier Jahren seine Praxis in München weitergegeben hat, fand ein großer Teil der im Foyer ausgestellten Objekte seinen Weg ins Dentalmuseum – darunter das abgebildete Unterkieferpräparat.
Man muss die Schätze zeigen und bewahren
Haesler bewundert die Generationen vor ihm und will das Bewundernswerte zeigen, aber auch seinen „bescheidenen Beitrag ergänzen“, um mit dem Fundus in Zschadraß – aus über 1.000 Sammlungen – einen Zwerg auf die Schultern der Riesen zu setzen. Haesler: „Das muss das Ziel der Arbeit hier vor Ort werden, noch niemals zuvor hat es einen solch tiefen und umfangreichen Einblick in unsere Fachgeschichte gegeben.“
Um den „Persönlichkeiten, die sich um unsere Fachgeschichte bemüht haben“, ein Denkmal zu bauen, richtet er in diesem Jahr ein Kabinett im Dentalmuseum ein. Impulsgebend war die Bibliothek von Dr. Fritz Witt, die sein Sohn 2024 dem Museum übergeben hat. Hinzu kommen persönliche und fachliche Dokumente von Prof. Walter Hoffmann-Axthelm („Die Geschichte der Zahnheilkunde“) und einige mehr. Haesler: „Hier bewahren wir die Bewahrer der Zahnheilkunde.“
Am Ende bittet er um Unterstützung: „Wo könnten sich noch Bilder oder Unterlagen zur Proskauer/Witt-Sammlung befinden? Wir brauchen alles, um diese Sammlung aufzuarbeiten!“
Im nächsten Teil wird es tierisch: Es geht um einen Igel mit Stacheln aus Watte.
Bisher erschienen sind:
zm 1-2/2025: Goodbye Amalgam!
zm 3/2025: Wohin mit meinem Bohrer?
zm 4/2025: „Wien hat’s nicht, Linz hat’s nicht, und Utrecht auch nicht“
zm 5/2025: Ein Lehrstück in plastischer Anatomie
zm 6/2025: „Die wollte ich schon haben“
zm 7/2025: Zwei in eins – der Papageienschnabel
zm 8/2025: „Das Bild wird einen Ehrenplatz bekommen“
zm 9/2025: Der Optimax – strahlend mundspülen