Mit dem Dentalmuseum durch 2025 – Teil 13

„An einem Zahne stirbt man doch nicht“ 

Wir haben noch gar nicht über Thomas Mann gesprochen – dabei gibt es der Gründe so viele, gerade in diesem Jahr, seinem 150. Geburtstag. Kaum ein Autor hat so prominent wie er in den „Buddenbrooks“ die Zähne als literarisches Motiv gesetzt. Das Buddenbrook-Syndrom hat es sogar in die Fachterminologie geschafft. Und das Dentalmuseum? Hat bei der jüngsten Buddenbrooks-Verfilmung die Requisiten gestellt und eine Zahnarztpraxis gestaltet.

Zu zweit waren die Film-Scouts seinerzeit nach Zschadraß gekommen. Ob denn das Dentalmuseum eventuell Instrumente und einen Behandlungsstuhl aus der Zeit um 1876 habe, hatten sie vorher am Telefon gefragt. Museumsleiter Andreas Haesler muss heute noch den Kopf schütteln, wenn er davon erzählt. „‘Eventuell‘ – tsss. Selbstverständlich! Wo denn, wenn nicht hier?“ Als sie es sahen, hatten sie verstanden: „Wir reisen durch ganz Europa und finden nichts – und dann das hier!“

Und so kam es, dass Haesler im Jahr 2008 eine komplette Praxis aus der Zeit der 1870er-Jahre einrichtete, Stuhl, Spucknapf, Instrumente, alles. Regisseur Heinrich Breloer fragte gar: „Herr Haesler, was soll denn der Zahnarzt anziehen?“ Haesler empfahl einen Zylinder – als Ankündigung für den nahenden Tod. Auch den Extraktions-Zahn brachte er mit zum Dreh nach Lübeck. „Es musste ein vierwurzeliger Zahn sein, damit die Details stimmen.“

Der Aufwand bei Ausstattung und Kostümierung war enorm, eine „Ausstattungsorgie“ schrieben Berliner Zeitung und taz damals. Doch die Akribie und die Detailtreue beeindruckten Haesler – und wurden ihm fast zum Verhängnis. „Ich saß dann da bei den Dreharbeiten draußen im Flur, quasi als Experte mit wachsamem Auge. Nach dem ersten Take habe ich also noch was umgruppiert, das gab aber richtig Ärger vom Regisseur.“

Kennen Sie das Buddenbrook-Syndrom?

Und welche Rolle spielt diese Szene? Der Zustand der Zähne der Figuren hat im Roman eine symbolische Bedeutung und verweist direkt auf den „Verfall einer Familie“ (so der Untertitel des Romans). In der Zahnmotivik offenbart sich der Grundgedanke: „Von Generation zu Generation schwinden Tatkraft, Unternehmensgeist und Gesundheit“ (Wikipedia). Thomas Buddenbrook, der letzte (zunehmend geschwächte) Patriarch, hat „klein[e] und gelblich[e]“, „ziemlich mangelhaft[e]“ Zähne. Und sein Tod – vermeintlich aufgrund eines schlechten Zahnes – markiert dann auch gleichzeitig das Ende der Firma.

Denn der Zahnarzt hat die wahre Krankheit nicht erkannt. Ein irgendwie kranker, kariöser, pulpitischer oder eitriger Zahn überlagerte die Primärursache, die Zahnschmerzen-ähnlichen Beschwerden im Unterkiefer lassen die koronare Herzerkrankung unentdeckt – das „Buddenbrook-Syndrom“. Einsortiert ist es unter den sogenannten literarischen Syndromen, bleibt dabei allerdings (hauptsächlich) auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Die Fehldiagnose des Zahnarztes spiegelt sich im Roman in der Unkenntnis der Mitbürger: „An einem Zahne stirbt man doch nicht!“ Hier geht eine ganze Kaufmannsfamilie daran zugrunde.

Helge Schneider hatte nicht mal ein Drehbuch

Haeslers Expertise und das Inventar aus dem Dentalmuseum waren noch in einigen anderen Produktionen gefragt: Im Jahr 2009 wurde für die Dreharbeiten von „Mein Leben – Marcel Reich-Ranicki“ (die Verfilmung der Autobiografie des Literaturkritikers) eine Praxis aus den 1930er-/1940er-Jahren gesucht. Als Reich-Ranicki 1938 aus Deutschland ausgewiesen wird, geht er nach Warschau zu seinem Bruder, der dort als Zahnarzt praktiziert – und später auch im Warschauer Ghetto.

Beim Genre ist Haesler vorurteilsfrei. Auch für Helge Schneiders absurd-komische Kriminalfilm-Parodie „00Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ anno 2012 arrangierte er in Duisburg eine Zahnarztpraxis, war sogar bei den Dreharbeiten dabei. Um alles im passenden Stil einzurichten, hatte er Schneider zur Vorbereitung um ein Drehbuch gebeten. Der antwortete ironisch-jovial: „Herr Haesler, ich habe doch kein Drehbuch!“ Wie Schneider als Zahnarzt Dr. Ferklefuss unmittelbar vor und nach der Behandlung seine ZFA vernascht und grotesk-dilettantisch eine Patientin drangsaliert, das ist klischeemäßig natürlich total drüber. „Bizarr, aber alles hochprofessionell“, resümiert Haesler seinen Ausflug in die Helge-Schneider-Welt.

2016 war es ein Behandlungsstuhl aus den 1930er-Jahren für die Kinofassung des deutsch-US-amerikanischen Mystery-Thrillers „A cure for wellness“. Derselbe Stuhl kam 2022 beim Dreh der deutschen Netflix-Serie „1899“ erneut zum Einsatz.

Ein Filmstar ist das Dentalmuseum bis jetzt nicht geworden. Aber bei 00Schneider gab es 1.500 Euro, bei den Buddenbrooks rund 5.000. Alles längst reinvestiert, in die nächsten Vitrinen.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.