So prägen Kindheitserfahrungen unsere Ängste
Frühe belastende Erfahrungen in der Kindheit können die Entwicklung von Ängsten stark prägen und langfristige Folgen für die psychische und körperliche Gesundheit haben. Studienergebnisse aus Norwegen zeigen, dass solche Erfahrungen das Risiko erhöhen, im Jugendalter Angst vor zahnärztlichen Behandlungen zu entwickeln, was wiederum die Mundgesundheit beeinträchtigen kann.
Für die Studie wurden Daten von 5.882 norwegischen Jugendlichen aus der Trøndelag Health Study (HUNT4) genutzt – einer bevölkerungsbasierten Erhebung. Die 13- bis 17-Jährigen beantworteten Fragen zu negativen Kindheitserfahrungen wie Missbrauch, Gewalt, Trennung der Eltern, Alkoholprobleme der Eltern oder Mobbing sowie zu ihrer Zahnarztangst. Angaben zur Mundgesundheit stammen aus den Zahnarztunterlagen des öffentlichen Zahnärztlichen Dienstes in Norwegen, der allen Kindern eine kostenlose Versorgung bietet. Insgesamt gaben 5,4 Prozent der Befragten an, Angst vor Zahnarztbesuchen zu haben (bei 16- bis 17-Jährigen 6,6 Prozent, bei 13- bis 15-Jährigen 4,5 Prozent). Rund 54 Prozent der Jugendlichen berichteten von mindestens einer der genannten belastenden Kindheitserfahrungen.
Jugendliche, die körperliche Misshandlung, das Miterleben von Gewalt, sexuellen Missbrauch durch Gleichaltrige, Trennung der Eltern oder Mobbing erlebt hatten, wiesen ein um 35 bis 93 Prozent erhöhtes Risiko auf, Zahnarztangst zu entwickeln. Mit jeder weiteren negativen Erfahrung stieg das Risiko um weitere 24 Prozent. Mädchen waren dabei häufiger betroffen als Jungen (8,0 versus 2,7 Prozent).
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass negative Kindheitserfahrungen und die daraus resultierende Zahnarztangst auch indirekt die Karieserfahrung bei 16- bis 17-Jährigen beeinflussen. Der Gesamteffekt lag bei 5,9 Prozent, bei mehreren negativen Erfahrungen sogar bei 8,6 Prozent. Frühere Studien berichten teils höhere Prävalenzen von Zahnarztangst, was möglicherweise auf die Verwendung empfindlicherer Multi-Item-Instrumente zurückzuführen ist.
Körperliche Nähe und Kontrollverlust als Auslöser von Angst
Die Autoren diskutieren mögliche Mechanismen: Bestimmte Abläufe in der Behandlung – etwa die liegende Position, körperliche Nähe oder das Gefühl, einer Autorität ausgeliefert zu sein – können frühere belastende Erfahrungen unbewusst reaktivieren und die Angst verstärken. Da Zahnbehandlungen sehr intim und schwer kontrollierbar sind, können sie leicht als übergriffig oder beschämend erlebt werden. Zusätzlich können frühere Missbrauchs – oder Ausgrenzungserfahrungen zu erhöhter Sensibilität und Misstrauen im sozialen Umgang beitragen.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass frühere belastende Kindheitserfahrungen das Risiko für Zahnarztangst erhöhen, was wiederum mit schlechterer Mundgesundheit verbunden sein kann. Zahnärzte sollten daher gezielt auf traumatische Vorerfahrungen achten, einfühlsam auf ängstliche Patientinnen und Patienten eingehen und eine sichere, vertrauensvolle Atmosphäre schaffen.
Zu den Stärken der Studie zählen die große Stichprobe sowie die Verknüpfung von Selbstauskünften der Jugendlichen mit objektiven Zahndaten. Einschränkungen ergeben sich durch mögliche Erinnerungsverzerrungen, nicht berücksichtigte Einflussfaktoren wie den aktuellen psychischen Gesundheitszustand oder sozioökonomische Aspekte, die begrenzte Messung der Zahnarztangst sowie das Querschnittsdesign, das keine kausalen Schlussfolgerungen erlaubt.
Myran L, Sun YQ, Dahllöf G, Willumsen T, et al. Associations of adverse childhood experiences with dental fear, and the mediating role of dental fear on caries experience: the Young-HUNT4 Survey. BMC Oral Health. 2025 Jul 10;25(1):1141. doi: 10.1186/s12903-025-06486-1. PMID: 40640784; PMCID: PMC12247215.