Wie ein Dental-Detektiv
Quer durch die Disziplinen gibt es eine Art Grundstruktur der Fach-Geschichte: Irgendwann haben erste analytische Methoden, vulgo: die zunehmende Verwissenschaftlichung, den Mythos ersetzt. Der Zahnwurm war tot. Die Fragen wurden exakter, die Experimente strukturierter, das Wissen verteilte und vermehrte sich (langsam), die Instrumentengeschichte begann.
Wir zoomen heran – und schlagen das Kapitel nach Philipp Pfaff und Pierre Fauchard auf, grenzen die Suche also zunächst grob auf „deutlich hinter“ die Anfänge der modernen Zahnmedizin ein. Denn: Die Pioniere der Zahnerhaltung haben schon mit ersten Füllungen experimentiert, Zähne wurden aufgebohrt, um die Pulpa freizulegen, weil die Ursache mancher Schmerzen in den Nerven der Wurzeln verortet wird. Erste Instrumente zur Trepanation sind erdacht, mit mehrmals erhitzten gebogenen Messingdrähten („lang wie eine Stricknadel“) wird anschließend kauterisiert, danach werden die Kanäle mit Blei oder Gold gefüllt.
Aber wir müssen noch näher heran: Im frühen 19. Jahrhundert wird das Ausbrennen erstmals ersetzt durch die Idee der instrumentellen Entfernung der Pulpa. 1838 ertüftelt der amerikanische Zahnarzt Edwin Maynard die erste Exstirpationsnadel, dabei soll er eine dünne Uhrenfeder zu einer Art Reibahle zurechtgefeilt haben. War da schon der Gedanke im Spiel, den Bohrkanal verfeinern zu können?
Aus welcher Zeit bist du?
Doch der Zeitpunkt der Entdeckung einer neuen Erfindung oder eines neuen Instruments ist immer zu unterscheiden von deren Verbreitung und Etablierung. Wir sehen grobe, noch ungenormte Drähte oder Federn mit einem kleinen Haken am Ende, ohne Kanalerweiterung, ohne die heute etablierte Längen‑ und Querschnittskontrolle – damit war die Auswahl der Größe noch Lotterie. Die Gefahr einer Überinstrumentierung entsprechend groß. Haesler sagt es so: „Wir befinden uns hier noch in der Zeit vor der systematischen Wurzelkanalaufbereitung, ich datiere diese Instrumente auf kurz nach 1850.“
Die verwendeten Materialien weisen den Weg: Der Elfenbeingriff mit der Eisen-Vernickelung spricht für ihn „mit ziemlicher Sicherheit“ für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Also ruft das abgebildete Instrumenten-Set eine Zeit in Erinnerung, in der man sich die „Dentalbranche“ so vorstellen muss, dass zeitgleich verschiedene Instrumente (neben den sowieso verschiedenen Behandler-Fertigkeiten) koexistiert haben – lange vor der Standardisierung der Instrumente, der Behandlungsmethoden und der Ausbildung. Ja, der Weg war lang und schmerzhaft bis zur heutigen hochpräzisen Wurzelkanalbehandlung mit allerfeinsten Spezial-Instrumenten.
Aber Haesler will die dentale Geschichte (hier der Endodontie) nicht nur erzählen, sondern auch ausstellen. Immer in Gedanken an den nächsten Schaukasten fand er „auf dem Flohmarkt“ zufällig dieses Instrumentenbänkchen in Form einer Schlange, vermutlich um 1880 hergestellt. Bei Haesler fügt sich dann sofort eins zum anderen: „Sieht doch super aus.“